Hallo, hallo, da der Master noch unterwegs ist, schreiben wir BuchFeen heute zum 500. Geburtstag von Gerhard Mercator. Jetzt fragt ihr euch vielleicht warum wir diesen Mann, der immer mit solch einem Hut wie eine fliegende Untertasse abgebildet wird, feiern. Er war ein richtiges Bilderbuch-Universalgenie: Mathematiker, Geograph, Philosoph, (ketzerischer) Theologe und vor allem Kartograph. Und deswegen ehren wir den Herrn Mercator.
Siri fand beim Lesen der Memoiren von Pablo Neruda, dass Mercator 1621 wohl der Erste war, der darauf hinwies, dass das Einhorn nicht als weißes Pferdchen im Wald herumspringt und den Jungfrauen sein phallisches Horn lieb in den Schoß legt, sondern als Narwal im Polarmeer lebt. Weltberühmt wurde Mercator jedoch durch seine Weltkarte in der nach ihm benannten Projektion. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was dies für ein Fortschritt für die Navigation darstellte. Mit dieser Karte konnten Seeleute zum ersten Mal ihren Kurs als gerade Linie einzeichnen und die Nordrichtung ist über die gesamte Karte hin gleich wie auch die Längen- und Breitengerade als Geraden dargestellt werden. Das war bei Karten vor Mercator keineswegs der Fall und so waren sie für Navigation weitgehend unbrauchbar. So könnt ihr auch verstehen, dass einige Inseln (wie Jan Mayen), die entdeckt worden waren, erst viele Jahrzehnte später wiedergefunden wurden. Allerdings verzerrt die Mercatorprojektion die Polargebiete erheblich. Vielleicht ist euch ja aufgefallen, wie groß in eurem Schulatlas Grönland wirkt – bei einer ursprünglichen Mercator-Projektion fast so groß wie Afrika.
Das entspricht keineswegs der Realität, sondern liegt an starken Abweichungen von der Flächentreue je mehr man sich den Polen nähert. Mercator schien sich dessen bewusst gewesen zu sein, da er 1569 in seiner großen Weltkarte für die Arktis die Darstellung der Brüder Zeno aus dem Jahr 1558 nutzte, die Fakten und Fantasie geschickt vermischte. Dennoch nutzen heute bei weitem die meisten Karten die Mercator-Projektion wie z.B. auch Google-Maps.
Habt ihr je gemerkt, dass Transatlantikflüge auf dem Kartenbild eigenartig lange Routen wählen. Fliegt ihr von Europa an die Westküste der USA wird über Grönland geflogen, was wie ein mächtiger Umweg aussieht. In Wirklichkeit liegt Grönland jedoch auf einer direkten Linie z.B. zwischen Frankfurt und Los Angeles – Mercator hat euch gefoppt.
Huch, jetzt wird Selma ganz pädagogisch, sie besteht darauf, euch Folgendes zu berichten (was die Faule übrigens weitgehend aus Masters Buch „Die faszinierende Welt der Formen“ abgeschrieben hat): Wir können seit Leonardo da Vinci zwar die Illusion einer dritten Dimension durch Linienperspektive, Größenverhältnisse und Schatten schaffen, aber die Abbildung unserer dreidimensionalen Wirklichkeit auf die zwei Dimensionen des Papiers erzeugt erhebliche Probleme, wie sich bei der Darstellung der Erdoberfläche auf Landkarten zeigte. Keiner der gängigen Projektionen – wie beispielsweise die Mercator-Projektion – gelingt es, jeden Teil unserer Erde sowohl von der Fläche als auch von den Entfernungen und Richtung einzelner Punkte her korrekt darzustellen. Das führte zu erheblichen Navigationsproblemen in polaren Gewässern, bis man herausfand, dass für polare Gebiete eine andere Projektion für die Kartendarstellung notwendig ist, als für die Gebiete mittlerer Breite.
Auf unseren Bücherregalen stehen so viele schwere Atlanten, die immer umkippen, zu hoch und eigentlich für Regale völlig ungeeignet sind. Doch die emsige Selma hat gleich aufgeregt nachgeguckt. In unserer Bibliothek befindet sich kein einziger Atlas, der nicht die Mercator-Projektion nutzt, die allerdings seit Mercators Zeiten weiterentwickelt wurde.
Nach all dem Atlas-Stemmen sind wir nun ganz ko und verabschieden uns für heute.
Eure
BuchFeen
„Ketzerischer Theologe“ – nun gut, das ist nicht falsch, könnte aber missverstanden werden. Er war nämlich eher ein Kreationist, wie man das heute nennt, also jemand, der den Schöpfungsbericht der Bibel und die ganze biblische Chronologie wörtlich genommen hat. Er hat zu diesem Zwecke sogar eine an der biblischen Chronologie ausgerichtete Weltchronik verfasst. Auch mit seinen ersten Karten, nämlich von Palästina, wollte er die Wahrheit der Bibel aufzeigen, weshalb auf dieser Landkarte auch Moses und sein Exodus eingezeichnet sind.
Später ist er ins Gefängnis gekommen, weil man ihn verdächtigt hat, Lutheraner zu sein, was er aber selbst strikt bestritten hat. Er hat auch zu seinen Lebzeiten unveröffentlichte theologische Schriften verfasst, alles ganz schön und fromm, in denen er etwa gegen Calvins Prädestinationslehre eingetreten ist, andererseits bei der Transsubstationslehre die reformierte Position (also weder die katholische noch die lutheranische) vertreten hat, bei der das Abendmahl als ein nur symbolischer Akt verstanden wird …..
Ob der Mercator Theologe war oder nicht, weiß ich nicht. Die Theologie galt ja als Grundlage aller wissenschaftlichen Arbeit. Insofern ist damals jeder wissenschaftlich arbeitende Mensch zu gleich auch Theologe gewesen. Das konnte alles oder nichts bedeuten.Tatsache ist, das er der Ketzerei bezichtigt war und deswegen längere Zeit im Kerker gesessen hat. Wenn man die Haftbedingungen der damaligen Zeit bedenkt, grenzt es an ein Wunder, das ein Mensch da lebend und unbeschadet wieder heraus kam. Wenn dieser Mercator sich anschließend – in Bezug auf Religion – eher bedeckt hielt, scheint mir das sehr verständlich. Für seine Leistungen als Wissenschaftler und als Mensch ist diese Kerkerhaft für uns heute von Interesse, bedenkt man was er danach noch alles Geschaffen hat. Das war sicherlich nicht wenig. Respekt.
Well, well, ich weiß nicht, wie die Haftbedingungen von Mercator waren, aber das war nicht unbedingt der Kerker. Es gabe auch wie bei Galileo Galilei relativ „bequeme“ Haftbedingungen, nämlich den Hausarrest.
Liebe Grüße vom kleinen Dorf am großen Meer
Klausbernd
und DANKE fürs Kommentieren. Weißt du Näheres über die Haft von Mercator?
Wirklich Nett! Gefaellt mir! Wo ist der Like Button fuer Facebook?
Hi Oliver,
der ist direkt unter dem Artikel.
Danke für deinen Besuch 🙂
Klausbernd
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Hallo Klausbernd,
ich habe u. a. „Zwischen Gott und der See: Roman über das Leben und Werk des Gerhard Mercator“ von Vermeulen gelesen. Wenn ich damals schon meinen Blog gehabt hätte, wäre es dort sicherlich beschrieben worden. Möglich, dass der Autor dieser Geschichte mit der „Kerkerepisode“ auch übertrieben hat. Ich habe das nicht nachgeprüft. Wir wissen heute, was die Inquisition war und welche Methoden angewandt wurden, um Menschen dahin zu bringen, wo man sie haben wollte. Die Menschen damals hatten auch wohl eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was sie erwartete, wenn sie erstmal in dieses Räderwerk kamen. Sonst hätte es wohl nicht so lange, so gut funktioniert. Um etwas über die Methoden, wie Herrschaft ausgeübt wurde und wird, brauchte ich nicht mal mein Studium. Dort habe ich interessante Details kennen gelernt und darauf hin sicher auch einiges anders eingeordnet. Aber wie Herrschaft funktioniert und dass Empathie nötig ist um Menschen zu verstehen, dazu reichte mir erst mal ein ganz normales Geschichtsbuch und die Anschauung ganz normaler Personen in der Gegenwart. Qui bono.
Mir geht es um die Lebensumstände, die jemand hatte und was er daraus machen konnte. Das gilt natürlich gerade auch für die Gegenwart. Sonst empfinde ich das nur Selbstzweck – was nicht schlecht ist, für mich jedoch von nicht so vordergründig von Interesse.
Ich freue mich immer, wenn ich von Dir eine Antwort bekomme. Es bringt mich dazu, über die Dinge nochmal nachzudenken und mich gegebenenfalls neu zu positionieren.
Gruss mick
Lieber Mick,
danke dir, ich finde das toll, dass du am Thema dranbleibst.
Zur Zeit Mercators gab es grundsätzlich, vielleicht etwas vergröbernd gesagt, zwei Richtungen in der Kirche: Einmal die von Spanien gesteuerte Inquisition und zum anderen die mehr intellektuellen Kleriker, die an alchimistischen Studien und anderen Wissenschaften interessiert waren und ganz und gar nicht auf der Linie der Inquisition lagen. Diese Kleriker war in höhere Kirchenämter gelangt, da sie nirgendwo anders ihre Studien durchführen konnten und sie meist aus previlegierten Familien kamen. Es hing nun bei einem Deliquenten davon ab, wem er in die Hände geriet. Bleiben wir beim Beispiel Galileo, natürlich wusste sein Richter, dass Galileo recht hatte. Er bewunderte ihn und ließ ihn auch weiterforschen. Offiziell wurde er jedoch verurteilt. Wie es bei Mercator war, weiß nicht, aber ich denke mir, wenn Vermeulen das so schreibt, wird er sicher zuvor historisch geforscht haben. Du hast völlig recht, der spanischen Inquisition in die Hände zu fallen, hätte wohl keiner von uns heute überlebt. Aber womöglich hätten wir unter dem Deckmantel eines kirchlichen Amtes ungestört geforscht? Oder hätten wir aus Angst vor der Inquisition gekuscht? Das hätten wir sicher, wenn wir aus dem „einfachen Volk“ gestammt hätten, wären wir jedoch einer adeligen Familie entsprossen, hätte uns die Inquisition wohl nur am Rande tangiert. Hätten wir allerdings das Glück gehabt, in England zu leben, hätte uns die Inqisition nie erreicht, aber dann wären es die Puritaner unter Cromwell gewesen, die uns hätten die Hölle heißt machen können. Am besten man hätte in England zur Zeit von Eilsabeth I als Gelehrter gelebt.
Das sind so meine Gedanken, allerdings kenne ich mich mehr im Hochmittelalter aus.
Liebe Grüße vom sonnigen Meer
Klausbernd
Übrigens beschreibt Eco in seinem aus Originalzitaten konstruierten Roman „Im Namen der Rose“, wie aufgeklärter Geist, Häresie und religiöser Fanatismus nebeneinander in dieser Zeit existierten.
Hallo Klausbernd,
wie schon gesagt, mir geht es eher um die Lebensumstände, die jemand hatte und was er daraus machen konnte. Dieser Willam von Baskerville reskierte schon etwas, es war immerhin ein Spiel auf Leben und Tod. Dieser Gegenspieler von Willam, Jorge von Burgos, hätte nach Möglichkeit William und diese ganze Brut von Abweichlern ans Messer geliefert. Und diese fiktive Geschichte zeigt m.E. ganz deutlich, wie die Menschen damals beschaffen waren und wie sie es heute auch sind. So unterschiedlich – wenn wir den ganzen Technikkram mal beiseite lassen – sind wir gar nicht. Wie könnten wir uns denn in diese Situationen überhaupt hineinfühlen, sie entziffern? Kleine Menschen mit großen Absichten oder große Menschen mit kleinen Absichten – und die dazwischen auch, all die gab und gibt es. Warum und wann ein Mensch so oder so handelt interessiert mich. Dieser Jorge hat ja auch etwas geglaubt, aus heutiger Sicht war das sicher nicht sympathisch, Willam ist da schon näher.
Aus meiner Sicht ist der Roman von Eco hier beschrieben:
http://allesmitlinks.wordpress.com/2012/04/29/der-name-der-rose/
Liebe Grüße aus Deutschland – das Wetter passt übrigens zur Materie.
mick
Lieber Mick,
ich verstehe dich schon und sage wie du, es ist erstaunlich, wie die Menschen z.Zt. der Inquisition Großes vollbringen konnten. Man kann sich als moderner Mensch wahrscheinlich da schwer eindenken. Vielleicht ist es ein wenig vergleichbar mit einem Leben in einem fundamentalistisch islamischen Staat – oder vielleicht auch wie im Faschismus?
Einen schönen Abend noch.
Liebe Grüße von der Küste Norfolks
Klausbernd und seine beiden Buchfeen Siri und Selma
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