Buchtalk: Die Dina-Trilogie von Herbjørg Wassmo

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Buchtalk: Die Dina-Trilogie von Herbjørg Wassmo

Im schrulligen alten England pflegen wir Bücher zu lesen, durch wir uns mit viktorianischer Disziplin von Seite zu Seite quälen, um beim Dinner  ironisch über sie zu berichten. Gekämpf habe ich mit den fast 2000 Seiten der Dina-Trilogie nicht, die  – und das stimmt wirklich, ich schwöre – Dina (meine norwegische Freundin) vor einiger Zeit für meine Bibliothek nordischer Literatur spendete. Zu Unrecht wurde die norwegische Schriftstellerin Herbjørg Wassmo erst durch den Film „Dina – meine Geschichte“ (mit Maria Bonnevie und Gérard Depardieu) in Deutschland bekannt. In Skandinavien gilt sie seit Beginn der achtziger Jahre als eine der führenden Autorinnen, die mit Literaturpreisen überhäuft wurde.

Ihre Romane durchweht eine für die nordische Literatur übliche Schwermut. Sie stehen bei mir im Wohnzimmerregal – was einer Ehrung gleichkommt -zwischen Sigrid Undsets und Knut Hamsuns Werken, wo sich die drei dicken Taschenbücher rundum wohl fühlen. Wassmo ist fest in der Tradition der norwegischen Literatur verankert, verehrt aber auch Virginia Woolf. Ihre Hamsun-Verehrung ging so weit, jenen Hof zu kaufen, in dem der Dichter von 1911-1917 lebte.
Beim Lesen ihrer Werke hatte ich das Gefühl, dass die Autorin keine glückliche Person ist, und noch eins fiel mir auf, sie scheint an einer Fotophobie zu leiden. Es gibt ungewöhnlich wenig Bilder von ihr. Dina fand jedoch das Bild unten, auf dem die Wassmo wie ihre Romanheldin Dina wirkt.

Herbjørg Wassmo

Ich meide schwermütige Bücher, bei der Dina-Trilogie war es jedoch anders. Ich wurde sogleich in den Text hineingezogen, bis zum Morgengrauen las ich atemlos viel zu viele Nächte lang. Ja, Wassmo schreibt immer ausführlich und deswegen dicke Bücher, da sie sich wie Undset in eine Zeit hineindenkt (19. Jh. in diesen Fall), die sie im Detail beschreibt. Lange Romane ziehen mich an und ließen mich zur Wassmo greifen, da sie, wenn sie gut sind, den Zeitpunkt der Tristesse herauszögern, der unweigerlich nach der letzten Seite kommt, da nie sogleich Ebenbürtiges zur Hand ist.

Im Gegensatz z.B. zu Hamsuns „Hunger“ gibt es bei Dina zum Glück auch viele ausgelassen fröhliche Passagen speziell im ersten Band. Dina, die Heldin dieser zweiten Trilogie Wassmos, ist eine außergewöhnlich starke, gebildete und geschäftstüchtige Frau, die sich ihre Freiheiten nimmt und zugleich größte Angst vor dem Verlassenwerden zeigt, was bis zum Mord führt. Dina ist extrem, eine schillernde Verkörperung der Anima wie Rider Haggards „She“, gut und böse zugleich, furchtbar und fruchtbar. Das macht den Reiz ihres Charakters aus.
Dina lebt in einem Geflecht von Lüge und Verschweigen, es sind die berüchtigten „Leichen im Keller“, die wohl jede Familie kennt. Diese gefährlichen Familiengeheimnisse, die Wassmo auf Liebe und Schuld zurückführt, beschreibt sie derart treffend, dass mir sogleich einige der Geheimnisse meiner Familie klarer wurden, ich erkannte Situationen wieder, verstand. Das lag nicht zuletzt daran, dass Wassmo anschaulich wie sinnlich Situationen, die Natur und speziell Menschen beschreibt, wobei auffällt, dass das Riechen in allen drei Bänden eine wesentliche Rolle spielt. Für mich war das Lesen dieser Trilogie besser als Therapie, genau wie Marcel Proust es für „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ geltend machte, nämlich mit Hilfe des Romans tiefer in sich selbst blicken zu können.

Die Stärke der Autorin ist zugleich ihre Schwäche: Brillant finde ich die ausführlichen Schilderungen der pubertären Zwanghaftigkeiten und späteren Verwirrungen als Mann von Benjamin (Dinas Sohn). Jedoch der dritte Band der Trilogie „Dinas Vermächtnis“ hat Längen durch zu ausführliche Schilderungen von „Beziehungskram“, der die Geschichte nicht vorantreibt. Bei der Mitte des dritten Bands angelangt, hatte ich genug „Beziehungskram“ genossen – mein junger Freund Gerrit hätte von Tuss-Literatur gesprochen und die Dina-Romane als Frauenliteratur abgetan. Nach 1500 Seiten hatte ich das Strickmuster erkannt und weiß nicht so recht, wie er es finden soll, dass voraussehbar Dina ähnlich wie ihre Mutter stirbt, die sie versehentlich als Kind umgebracht hatte. Ist das ein Schönheitsfehler, jenes Ringen mit dem Romanschluss, bei dem so mancher Autor unterliegt? Es wirkt konstruiert auf mich, aber halt!, so entwerfe ich die Architektur meiner Romane doch auch. Und sei es auch eine Schwäche, bei Autoren-Promis wie Wassmo pflegen Kritiker Schwächen als Charakteristika zu bezeichen.

Stilistisch sind alle drei Romane nahezu perfekt (störend sind jedoch die vielen, teils sinnentstellenden Druckfehler in der Knaur-Taschenbuch-Ausgabe), die Metaphorik ist teilweise ungewöhnlich, aber immer treffend und beim Wechsel der Erzählperspektive, z.B. wenn im dritten Band Karna, Dinas Enkeltochter, denkt (viel ist im inneren Monolog geschrieben), wird der Leser von der Intensität kindlicher Weltsicht berührt – man merkt, dass H. Wassmo wie Selma Lagerlöf Lehrerin gewesen ist. Im Gegensatz zu der brillanten Wergeland-Trilogie ihres Landsmanns Jan Kjærstad ist die Dina-Trilogie leserfreundlich konservativ geschrieben, kein Hauch von Postmodern, ähnlich zeitgeistfrei wie Undsets Romane und ähnlich christlich geprägt.

Wie ihre Romanheldin Dina lebte Herbjørg Wassmo einige Zeit in Berlin, das immer wieder in ihren Romanen auftaucht.

Besonders den ersten Band der Trilogie „Das Buch Dina“ möchte ich jedem empfehlen – und nicht vergessen, er wurde sehr schön verfilmt. Davon berichtet mein Tagebucheintrag:

„… habe zum zweiten Mal ‚I AM DINA‘ gesehen, wow, große Gefühle und Dramen. Brillant gespielt und wunderbare Naturaufnahmen. Ich finde allerdings, der Film bringt die Story gefälliger. Aber das macht nichts, da er wunderschön gefilmt ist – bes. Personenbilder sind wie gute Portraitfotografie. Manchmal erinnert die Ästhetik der Bilderwelten an die Werbung bis hin zur ästhetischen Soft-Porn-Fotografie. Alles in allem ist das ein Film für die Sinne und speziell durch die Schnitttechnik eine Achterbahnfahrt durch die Gefühle. Ich habe auch zum zweiten Mal den Film mit großem Genuss gesehen

Zum Abschluss: Mitte April kommt in deutscher Übersetzung der erste Band von Wassmos erster Trilogie (die Tora-Trilogie) unter dem Titel „Deutschenkind“ heraus. Darin beschreibt sie, wie mir meine norwegische Freundin Dina (ja die, nicht die Roman-Dina) bestätigte, ein brisantes Tabu-Thema in Norwegen, nämlich wie die Bevölkerung mit Frauen umging, von denen man ein Verhältnis mit deutschen Besatzungssoldaten vermutete und wurde gar in solcher Verbindung ein Kind gezeugt, dann … Ja, das können Sie in „Deutschenkind“ lesen.

Viel Spaß beim Lesen.
Klausbernd

Über Klausbernd

Autor (fiction & non-fiction), Diplompsychologe (Spezialist für Symbolik, speziell Traum- und Farbsymbolik)

Eine Antwort »

  1. Das klingt gut, nächtelang lesen……Sommerferien…….
    Bis jetzt habe ich nur in der Ecke eines großen Supermarkts in den Dina-Büchern gelesen und überlegt, wann die an der Kamera ihr Veto einlegen wg. meiner langsam wohl auffälligen Lesestopps beim Einkaufen….und mir den Kauf ausgeredet, das ändere ich nun, dank Deiner Empfehlung!
    Vielleicht lassen sich die an der Kamera ja auch zum Lesen inspirieren…..soll ich das Buch mal hochhalten?!

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    • Klar doch, fein in die Kamera halten! 😉
      Da musst du ja noch oft einkaufen gehen, wenn du nur allein schon den ersten Band der Dina-Trilogie im Supermarkt lesen möchtest. Ich habe noch nicht im Supermarkt gelesen – einer der wenigen Orte, an dem ich nie las – aber ich lese öfter in Buchhandlungen. Da komme ich nur in Ausnahmefällen auf über 30-40 Seiten in einer „Sitzung“ – ja, das ist der Vorteil, in modernen Buchläden kann man sich im Ggs. zum Supermarkt setzen. Im Stehen, finde ich, liest es sich ungemütlich.
      Liebe Grüße von der heute sonnigen aber stürmischen Küste Norfolks 🙂

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    • Ja, liebe Pia, unbedingt! Ich kann dir so eine kleines Fähnchen in Rot-Weiss-Blau besorgen, zum winken! 🙂
      Feenhauch aus Norwegen

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      • Wie steht es heute um die öffentliche Büchereien, werden die noch regelmässig frequentiert? Als Kind habe ich viel Zeit in Büchereien verbracht, seit Jahren habe ich keine betreten.

        Vielen Dank für die Einführung in Herbjörg Wassmo und Dina. Von der Wassmo habe ich bis heute nichts gelesen, jetzt habe ich „Deutschenkind“ bestellt. Ich habe nordische Wurzeln und das Thema ist mir sehr vertraut, leider.

        Liebe Grüße
        aus Schweden, bin gerade in Uppsala

  2. Bin ich in Berlin, gehe ich öfter in die Steglitzer Stadtbibliothek, die ist stets gut besucht von Jung und Alt. Und hier bei mir in Holt/Norfolk ist die Bibliothek auch gut frequentiert, es gibt sogar einen Bücherbus, der einmal wöchentlich an der Windmühle in unserem kleinen Küstendorf hält.

    Liebe Grüße nach Upsala, wo ich vor vielen Jahren an der berühmten Uni-Bibliothek für einige Zeit arbeitete
    Klausbernd aus Norfolk

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    • Dann ist dir die silberne Bibel dort sicherlich sehr vertraut, toll nicht?

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      • Ja, das ist diese Wulfila-Bibel (der Codex Argenteus), die seit 1648 in der Bibliothek zu Uppsala liegt. Sie heißt so, da auf den purpurnen Pergament teils mit silbernen und teils mit goldern Buchstaben geschrieben wurde. Besonders die silbernen Buchstaben konstrastieren harmonisch mit den dunkleren Hintergrund. Wulfila hat mit dieser Bibel eine ähnliche sprachhistorische Tat vollbracht wie Martin Luther. Er schuf durch seine Bibel nicht nur die Grundlagen der gotischen Schrift (die er noch mit Runen und lateinischen Buchstaben mischte), sondern er schuf auch die erste Bibelübersetzung in eine germanische Sprache, was wie das Luther-Deutsch vereinheitlichende Wirkung hatte. Schaut man sich die Ästhetik der Seiten der silbernen Bibel an, dann wirkt das Schriftbild unser heutigen Bücher tot und langweilig. Es fehlt diese lebendige Harmonie, die in diesen illuminierten Handschriften noch vorhanden war (die außer in Uppsala noch in der Klosterbibliothek von St. Gallen zu bewundern sind).
        Der Codex Argenteus gilt als eine wertvollsten Handschriften unseres Kulturbereichs.

        Liebe Grüße aus dem heute stürmischen, aber sonnig warmen Norfolk
        Klausbernd

  3. Wie toll diese Erklärung, herzlichen Dank – und wie schade, ich habe vorhin leider erfahren müssen, ich habe die Ausstellung zum 1700-Jubiläum der Wulfila-Bibel um ein paar Wochen verpasst. Otur, wie die Schweden sagen. 🙂

    Liebe Grüße aus Uppsala,
    leider grau, kalt und nass

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  4. dina, dina und du habt mich so angefixt, dass ich soeben den film und das erste buch bestellt habe 🙂 danke für den tipp!

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    • oh… du auch?! das kommt davon, wenn ich erst tippe und dann die kommentare lese, wollte dich schon zum film einladen ;o)

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      • Eigentlich Schade, dass wir alle so weit von einander wohnen, wäre doch echt toll den Film gemeinsam zu erleben, ein Gläschen zu trinken… Ich glaube, ich stelle schon eine Flasche kalt.

      • da sagst du was… -m- ob ich jetzt gleich ein feierabendbierchen auf uns alle trinke…?

  5. Hei Klausbernd,
    Tone calling. I haven’t read „Dina“, shame on me, but I know „Huset med den blinde glassverandaen“ (das erste Buch in der Tora-Trilogie), I liked it a lot, a long time ago.
    Dina is with me at the moment, I promise to improve my german – soooooon, but not now.:-)
    Lots of love
    from all of us
    Tone

    Antworten
    • Dear Tone, it`s funny, it`s just the other way round with me: I haven`t read the first book of the Tora-trilogy yet. But I am looking forward to read it soon.
      Well, well, and you improve your German, good luck! Actually I should improve my mixture of NorwegianSwedish.
      Ha en fin dag 🙂
      Klausbernd
      Kisses XXX for Dina and greetings to Siri and Selma

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  6. Ha en fin dag selv!
    Snart kommer det masse bilder fra Lofoten, vi var i Dinalandet i 2010
    hilsen oss
    🙂

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    • Tone, Jostein und Jon Olav haben uns ihre megatollen Aufnahmen von der Reise zum Dinaland zur Verfügung gestellt, ein wahre Freude, sooo schöne Fotos!
      Trollhatten, Svartisen, Saltstraumen, Lofoten u.a. Echt wunderschön!
      Nur – „Schlechtwetterbericht“ wäre trotzdem ein passender Titel, auch für ihre Reise.:-)
      Hilsen oss igjen.

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  7. jetzt hast du und Dina mich so neugierig gemacht, dass ich soeben alle drei Bücher und die DVD bestellt habe… oh ja, mal wieder ein kleines Stück Norge, darauf freue ich mich und sage tyssen tak und many thanks euch beiden

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  8. Liebe Lissi,
    Zuerst „Skål!“
    Darauf trinke ich doch glatt einen mit. 🙂

    Vær så god = vashegut, – genauso wird’s ausgesprochen, also ich finde, du machst das prima!
    Mit „tusen takk“ und „takk for maten“ noch dazu kommst du überall hin und gut an.

    Falls Irgendlink mitliest, in Schweden heißt es „Tack så mycket“ och „Tack för maten“.

    God natt fra Norge,

    Dina

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    • oh dankeee… wir könnten einen kleinen norsk-kurs hier einlegen ;o)

      heute kamen buch und film zusammen hier an, ich freue mich auf ein abendliches lesestündchen, erst das buch!
      danke euch für den tipp

      herzlich grüßt Li Ssi, die dann mal später berichten wird, wie es gefallen hat

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  9. Pingback: Silent Snow | The World according to Dina

  10. Pingback: Out of Fredrikstad | The World according to Dina

  11. Ich danke dir ganz herzlich, lieber Klausbernd, für diesen ausführlichen Bericht zur Dina-Trilogie von Herbjørg Wassmo. Ich muss zugeben, dass ich von dieser Schriftstellerin noch nie gehört habe, aber 2000 Seiten sind schon etwas viel für mich! Das Buch Dina werde ich auf deine Empfehlung hin auf jeden Fall bestellen.
    Bis bald und liebe Grüsse Martina

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    • Liebe Martina,
      du kannst dir die gelungene Verfilmung des Romans ansehen. Die deutsche Ausgabe des Dina-Romans hat etwas über 500 Seiten. Wir finden „Das Buch Dina“ den gelungensten Band der Trilogie.
      Mit lieben Grüßen vom Meer
      The Fab Four of Cley
      🙂 🙂 🙂 🙂

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    • Selmalein 🙂 schaute es eben nach: Bei amazon gibt es den Roman sowohl gebunden als auch als Taschenbuch zumindest in der deutschen Ausgabe.
      Alles Liebe
      The Fab Four of Cley
      🙂 🙂 🙂 🙂

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