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Wie das Hässliche in die Kunst kam

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Schön hässlich

Denn es ist kein Liebender, der die Geliebte nicht vergöttert, sie sei so schief, wie sie will, so krumm, wie sie kann; ein talgiges Galgengesicht oder eine runde, platte Schießscheibe, oder dumm, dürr, dürftig, schief und schäbig wie eine Vogelscheuche, hohläugig, hühneräugig, schielt wie ein Huhn in der Sonne und blinzelt wie eine Katze vorm Ofen; Titten wie Quitten oder gar keine. Ums kurz zu machen: ein Kuhfladen im Backofen.
Robert Burton Anatomie der Melancholie

Hans Baldung Grien, Die Lebensalter des Menschen (1540) Ausschnitt

Hans Baldung Grien, Die Lebensalter des Menschen (1540) Ausschnitt

Vorige Woche hatte ich meiner Buchfee Siri eins meiner Lieblingsbücher gegeben, den „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach. Das ist ein Versepos aus dem ersten Jahrzehnt des 13. Jh. Dunkel nur konnte ich mich an die Gralsbotin Kundrie erinnern, bis gestern, da fragte mich Siri, wie eine solch hässliche Frau in die höfische Dichtung Einzug halten konnte. Wir lasen zusammen die Stelle, an der Kundrie im Gegensatz zum wunderschönen Parzival beschrieben wird. Ihre Nase gleicht einer Hundeschnauze, sie hat lange Zähne und ihr Haar ähnelt den Borsten eines Schweins. Uns hat das verblüfft, da doch im Mittelalter Schönheit mit edler Gesinnung gleichgesetzt wurde. So drückte der einflussreiche Thomas von Aquin kurz nach der Veröffentlichung des Parzivals die allgemeine Meinung des Mittelalters aus: „Das Schöne ist mit dem Guten austauschbar“. Schon in den chansons de geste (altfranzösische Geschichten von Heldentaten, die im 11. Jh. entstanden und im 12. Jh. ihren Höhepunkt erlebten) ist die Hässlichkeit stets ein Attribut des Bösen. Nicht so bei Kundrie, die trotz abstoßender Hässlichkeit die gebildete und edle Frau ist. In der Gestaltung dieser Figur wendet sich Wolfram gegen das herrschende Schönheitsklischee der höfischen Literatur. Er nahm damit eine Ansicht der Moderne voraus, dass nämlich das Schöne zwar bewundert wird, das Hässliche jedoch fasziniert.
„Das ist irgendwie wie bei unseren Freunden den Trollen und ET, sie sind hässlich, aber wir lieben sie“, meinen Siri und Selma verständnisvoll nickend.
„Am hässlichsten, richtig ekelhaft sind doch die Spuren dieser Krankheiten wie Syphilis, Pest und all diese Seuchen früherer Zeiten und wie fand dieses Ekelhafte Eingang in die Kunst?“ fragte Selma. Wie kam es zur Ästhetisierung der Krankheit?
„Dieser Aristoteles, der im Mittelalter für alles herhalten musste, schrieb bereits im 4. Jh. vor unserer Zeitrechnung, dass die bildliche Wiedergabe des Hässlichen Schönheit hervorbringt“, führte die erschreckend gebildete Siri an.
So machten wir uns emsig daran, nach all den Diskussionen über die Idylle auf unserem Blog, der Frage nach dem Hässlichen und Ekelhaften in der Kunst anhand der Darstellung der Krankheit nachzugehen.
Als die idealtypische ekelerregende Krankheit, die vielfach in der Literatur beschrieben wird, werden wir hauptsächlich die Darstellung der Syphilis betrachten, da sie seit dem 15. Jh. als „Krankheit an sich“ betrachtet wurde.

How ugliness entered art

Last week Siri started reading one of my favourite books Wolfram von Eschenbach`s „Parzival“. She was puzzled about the figur of Kundrie, the most disgusting looking lady of the middle ages. Her nose looks like dogs face, her teeth are very long, and her hair was like the bristle of a pig. We were astonished because during that time beauty was a sign of the good as Thomas de Aquino wrote. Since the chanson de geste the ugly person always was the evil one. But not in this case because Kundrie is a learned and very nobel lady. Wolfram designed this literary figure contradictiong the clischee of beauty. In this way he was quite modern seeing that that beauty is admired but ugliness is interesting.
„It`s like our beloved Trolls and ET, they are ugly but we love them“, said my Bookfayries Siri and Selma. „But when did ugliness entered art?“, they asked. So we agreed that it is easiest to study when artist started to describe the disgusting symptoms of deseases. We
 have chosen the example of syphilis (pox) as it is seen as the most ugly disease.

Domenico Ghirlandaio, Greis mit Enkel (1490)
Domenico Ghirlandaio, Greis mit Enkel (1490)

Seit der Renaissance wird die Syphilis als Krankheit wahrgenommen. Ihre Benennung verdankt sie der Poesie, nämlich dem Gedicht „Syphilidis“ des Veroneser Poeten Girolamo Francastoros (1483 – 1554). Von nun ab sollte sie Dichter und Maler bis in unsere heutige Zeit zur Darstellung des Hässlichen inspirieren. Die Neugier an der „Physica curiosa“ (wie der naturwissenschaftlich interessierte Jesuit Caspar Schott [1608 – 1666] sein Werk mit physischen Aberrationen nannte) griff um sich. Ein voyeuristisches Interesse wurde befriedigt, das nach Sigmund Freud gar einen befreienden Charakter besitzt, da es den Rezipienten aus seiner gewohnten Welt befreit und ihn mit dem Verdrängten konfrontiert. Diese Konfrontation besitzt einen kathartischen Effekt, der sich häufig im Lachen angesichts der Abbildung des Hässlichen zeigt. Besonders die „abgefallene Nase“ als eklatante Abweichung vom klassischen Profil galt als abstoßend, doch zugleich immer wieder als beschreibenswert. Wir finden sie beschrieben speziell im 18. Jh. bei Daniel Defoe („Roxane“, 1724), Henry Fielding („Reise von einer Welt in die andere“, 1743) und Jonathan Swift („Lettres de Lord Chesterfield“, 1774-78) und den Werken von Baudelaire und des Marquis de Sade, um nur einige zu nennen. Die Darstellung der „weggefressenen Nase“ wurde meist satirisch in Nebenhandlungen eingesetzt. Sie stigmatisierte nicht nur die Lüsternen, sondern diente vor allem zur Erzeugung eines schwarzen Humors. Bereits zuvor hatte das elisabethanische Theater – und allen voran William Shakespeare – große Erfolge mit der Figur des Syphilitikers mit deutlichen Symptomen. Sie diente der Erzeugung von burlesker Komik wie auch die Darstellung hässlicher Menschen im 16. Jh. Allerdings im sittenstrengen 17. Jh. war dann „Schluss mit lustig“, besonders sexuell übertragene Krankheiten galten als undarstellbar. Jedoch sollte die satirische Darstellung der Syphilissymptome in den pikaresken Romanen überleben wie bei Charles Sorel (1609-1674), der den ersten französischen Schelmenroman schrieb. Auch bei Jakob Christoffel Grimmelshausen (1622 – 1676) wird die Syphilis als lustige Krankheit angesehen, wie bei allen Schelmenromanen, die oft Prostituierte auftreten ließen.

The name syphilis was coined in the Renaissance. It was taken from the poem “Syphilidis” of Girolamo Francastoros from Gerona. From this time onwards syphilis inspired many artists until today. The “physica curiosa” attracted much curiosity. Freud valued the confrontation with desease and ugliness as katharsis, a cleaning process of the psyche by being confronted with the repressed material of our subconsciousness. It was especially the nose being eaten away because it contradicted drastically the classic profile. It is described in many novels of the 18th c. like Daniel Defoe`s „Roxane“ (1724), Henry Fielding`s „A Journey from this World to the Next“ (1743), Jonathan Swift`s „Lettres de Lord Chesterfield“ (1774-78) as well as in the works of Baudelaire and the Marquis de Sade. This description of the deformed nose was wildly used for comical effects mostly in the subplot. This already started with the Elizabethan theater and Shakespeare having big successes with figures showing syphilitic symptoms. They were fun for the audience at that time. But the prudish 17th c. ended this fun. It was not accepted writing about diseases and especially not about sexually transmitted ones. But nevertheless the eaten away nose survived in picaresque novels in Spain, France and Germany in which, like in Grimmelshausen`s “Courasche”, it added to the humoristic effects.

Diese lockere Einstellung zur Darstellung der hässlichen Kranken mag uns heute verblüffen, aber dabei sollte man bedenken, mit welchem poetischen Aufwand an Metaphern und Vergleichen die Krankheitssymptome beschrieben wurden. Grimmelshausen spricht davon, dass der Körper der Courasche mit Rubinen geziert war. Grundsätzlich wurden Ausschläge weit entfernt von jeglichem Realismus als Blumen und Edelsteine auf der Haut bezeichnet. Die hochgradige Poetisierung und Ästhetisierung sollte der Volksbelustigung dienen.

You may wonder about this coolness but you have to consider the poetical skill describing the symptoms of syphilis. There was no constraint in metaphors and poetic comparisons. The body is covered with precious stones or with wild flowers wrote Grimmelshausen for example.

Frau Welt, Dom zu Worms (hinten und vorne)

Frau Welt, Dom zu Worms (hinten und vorne)

Im Barock erlebten die Vanitas-Darstellungen eine große Beliebtheit. Speziell die Darstellung der Frau Welt war verbreitet, die vorne dem damaligen Schönheitsideal entsprach und hinten von Geschwüren und Gewürm zerfressen wurde. Ein Bild, das vor der Eitelkeit warnt wie in dem Gedicht von Andreas Gryphius (1616 – 1664) „Alles ist eitel“. Die Abbildung des Krankheitssymptoms wird moralisch eingesetzt, was in den folgenden Jahrhunderten nie verschwinden sollte und in den sozialdarwinistischen Ansichten des späten 19. Jh. und den Ideen von der Rassenhygiene des 20. Jh. seinen Höhepunkt fand.

Very in vogue was the image of Vanitas during Baroque. It was seen as “Frau Welt” (Mrs. World) a woman with a beautiful front and a back eaten away by ulcers. That should warn against vanity and remind the recipient of dying. To show the syphilitic symptoms was used for moralistic reasons. This attitude survived besides other points of view until the 20th c. It reached its hight in Social-Darwininistic and racial theories when in 1905 Alfred Ploetz founded the “Society for Racial Hygiene” in Germany (in Nazi Germany any disease was seen as a danger to the healthy Germanic race).

Frau Welt /hinten und vorn)

Frau Welt (hinten und vorn)

Bereits in der Renaissance besteht seit dem Humanisten Marsilio Ficino (1433 – 1499) jedoch auch die Ansicht, dass Krankheit, Wahnsinn und Genie zusammenhängen. Anfang des 17. Jh. wurde gar vertreten, Syphilis fördere die Inspiration. Dass Krankheit und Genie zusammenhängen, faszinierte besonders über hundert Jahre später die Romantiker, die allerdings die Darstellung der ätherischen Tuberkulose derjenigen der Syphilis, die romantischen Liebesvorstellungen widersprach, vorzogen. Thomas Mann knüpft im 20. Jh. in seinem „Zauberberg“ daran an, aber er gestaltet in „Doktor Faustus“ auch den genialen Syphilitiker.
Es ist typisch für die Darstellung der hässlichen Krankheit seit der Romantik, dass sich die Autoren eher für die psychischen Symptome als für die körperlichen interessieren. Das Hässliche bekommt zunehmend eine psychische Dimension.

Besides the moralistic view of diseases there existed quite a different one. Since Renaissance and Marcilio Ficino (1433 – 1599) a connection was seen between disease and genius. From the beginning of the 17th c. it was even believed that syphilis triggers imagination. Most poets were taken by this idea during the Romantic age about a hundred years later. But their favourite disease was the etheric tuberculosis as syphilis contradicted their ideal of love. In this tradition Thomas Mann wrote his novel “Magic Mountain” but he followed the idea of syphilis producing the genius as well in “Doktor Faustus” – but that was in the 20th century. Since the age of Romantic authors became more interested in the symptoms of the psyche than those of the body.

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Hieronymus Bosch , Kreuztragung Christi (1490), Ausschnitt

Im Sturm und Drang beschreibt Friedrich Schiller im tabubrechenden Stil seines Dramas „Die Räuber“ (1781) die Symptome der Syphilis als schauerlich und regt damit die nachfolgenden Romantiker zur „Erfindung“ des Schauerromans an. Schiller bemerkte bereits weit vor Freud, dass uns „das Schauderhafte mit unwiderstehlichen Zauber an sich lockt.“

Schiller`s revolutionary Storm and Stress drama “Die Räuber” (The Robbers, 1781) describes for the first time the syphilitic symptoms in a way that makes you chiver like in a gothic novel “invented” by the romantic poets a little later.
(The English phrase “Storm and Stress” is a poor translation of the German “Sturm and Drang” rather meaning “Storm and Longing”)

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Pest, Buchmalerei 14. Jh.

Schon der Frühromantiker Friedrich Schlegel hatte 1795 in seiner Schrift „Über das Studium der griechischen Philosophie“ dem Schönen das Hässliche gleichberechtigt zur Seite gestellt und sich gegen den Harmoniekult der Klassik und die Vernunft der Aufklärer gewandt. Johann G. Sulzer propagierte kurz zuvor in seiner Ästhetik „Allgemeine Theorie der schönen Künste“ 1782 die Durchbrechung der klassischen Regeln. Die Romantiker werten von nun an das Krankhafte und Hässliche auf – wie in Mary Shelleys „Frankenstein“ und Victor Hugos „Der Klöckner von Notre Dame“. Hugo schreibt bereits 1827 im Vorwort zu seinem Cromwell-Drama das höchste Lob des Hässlichen, dem dann die einflussreiche „Ästhetik des Hässlichen“ (1853) des Hegel-Schülers Karl Rosenkranz folgt. Nun beginnt sich die Avantgarde der Autoren mit Georg Büchner (1813 – 1837), Charles Baudelaire (1821 – 1867) und Honoré de Balzac (1799 – 1850) für das Hässliche und somit speziell für das Krankhafte zu interessieren.

The early Romantic Friedrich Schlegel wrote in his philosophy of aesthetics that ugliness is always a part of the beautiful and it is as important in art as the beautiful. This contradicted the Classic cult of harmony and the philosophy of the Age of Reason. Romantic poets were fascinated by describing ugliness as in Mary Shelley`s “Frankenstein” and Victor Hugo`s “The Hunchback of Notre Dame”. Hugo highly praised the description of ugliness in the preface of his drama “Cromwell”, an attitude followed by Karl Rosenkranz in his “Aesthetics of the Disgusting” (1853). From now on the avant-garde poets like Georg Büchner, Charles Baudelaire and Honoré de Balzac became interested in describing the disgusting.

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Peter Paul Rubens, Das Haupt der Medusa (1618), Ausschnitt

1881 veröffentlichte Henrik Ibsen sein Familiendrama „Gespenster“, in dem die Syphilis zum Dreh- und Angelpunkt seines anfänglich äußerst umstrittenen Werkes wird. Von nun an wird sich die moderne Literatur durch die Schilderung von kranken Personen auszeichnen. Die Krankheit und ihre Symptome wurden endgültig enttabuisiert.

Zum Schluss wollten Siri und Selma euch alle darauf aufmerksam machen, dass zwar Schönheit weitgehend eine Frage von Proportionen ist, aber dennoch ästhetische Urteile nie absolut sind. Über den Kitsch als Sonderform des Hässlichen werden wir später noch etwas schreiben – wir haben noch nicht zu Ende gedacht.

1881 Henrik Ibsen „Ghosts“ was published being the first drama in which the syphilis is the pivot. From now on the ill person was liked in modern literature and art in general.

Siri and Selma want to mention that beauty is mostly dependand on harmonious proportions but nevertheless a subjective judgement. About Kitsch (brummagem) as an aspect of ugliness we might write later – we are still thinking … 

Als ergänzende Literatur empfehle ich

Umberto Eco: Die Geschichte der Häßlichkeit. München 2007
Nelson Goodman: Sprachen der Kunst. Frankfurt 1995
Franz Koppe, Grundbegriffe der Ästhetik, Frankfurt 1993
Gábor Paál: Was ist schön? Ästhetik und Erkenntnis, Würzburg 2003
Markus Tuchen: Ist Schönheit wirklich subjektiv? Paderborn, 26. August 2006

Eco_Haesslich

For further redading:
Umberto Eco: On Ugliness (2007)
Nelson Goodman: Languages of Art (1969)
the other books are available in German only

Greetings from Klausbernd and his Bookfayries Siri and Selma

Dublin`s Fine Libraries: Marsh’s Library

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Siri + Selma

Siri + Selma

Preface
Thanks a lot for all the English native speakers visiting our bookfayries-blog. Great 🙂 For an easier for understanding we will write our texts in German and English. First in German because that`s our fayrie language and then in English a kind of summary of every paragraph. Is that okay?
Welcome! Have fun, looking at Dina`s pictures  and reading our scribbles 🙂

***

Huch, hier schreiben endlich wieder wir, die emsigen Buchfeen Siri und Selma. Wir stellen euch jetzt unsere Lieblingsplätze vor, nämlich Bibliotheken im schönen Dublin. Da fangen wir gleich mit der altehrwürdigen Marsh`s Library an. Diesen Erzbischof Narcissus Marsh (1638-1713, der wirklich ein Narziss war) müsst ihr euch als gebildeten Büchersammler vorstellen mit einem regen Interesse speziell an den Naturwissenschaften. Das war damals, erzählte uns Masterchen, keineswegs unüblich. Viele höhere Kleriker beschäftigten in Marschs Zeiten mit Alchimie, die wir als Vorläufer der modernen Wissenschaft sehen.
Diese Bibliothek ist eine typische Gelehrtenbibliothek der damaligen Zeit, die seit 300 Jahren fast nicht verändert wurde. Wir standen leider dreimal vor dem verschlossenen Tor – auch Buchfeen müssen bei ihren heiligen Plätzen stets dreimal anklopfen, bevor sie eingelassen werden, was schon der geehrte Alchimist Doktor Faustus wusste -, aber als wir dann den L-förmigen Büchersaal betraten bekamen wir Flügelzittern. Ihr seht am letzten Bild deutlich, dass sich die Regale biegen unter Last von 25.000 Büchern aus dem 16. bis frühem 18. Jh. aus allen Wissenschaften. Dieser Marsh war ein Ordnungsmensch und interessierte sich sehr für Mathe und Physik. In einigen uralten Mathebüchern könnt ihr Randbemerkungen von Marsh lesen (wenn ihr sie lesen könnt ;-)). Marsh hat im Ggs. zu einigen heutigen Sammlern wie Umberto Eco seine Bibliothek benutzt.

This is the library of Archbishop Marsh which hasn`t much changed in last 300 years. Marsh was like many of his colleages interested in science, especially in mathmatics and physik. You find notes in some of the old books which shows that Marsh used this library like Umberto Eco and unlike some modern collectors of rare books. Well, this library stores 25.ooo volumes from 16th to the early 18th century.


Wir fanden hier schönste und besterhaltene Bücher englischer Drucker wie Berthelet, Daye, Notary, Pynson, Siberch und Wolfe, dazu noch 300 Handschriften, die wir uns aber nicht anschauten. Übrigens studierte nicht nur Marsh hier sondern auch Jonathan Swift, ja der, der mit dem satirischen Roman „Gullivers Reisen“ weltberühmt wurde. Er war sogar Verwalter dieser Bibliothek.

You find the printing products from the the earlies English printers here like Berthelet, Daye, Notary, Pynson, Siberch and Wolfe. It stores 300 manuscripts as well. Not only Marsh used this library frequently, it was Jonathan Swift the author of the satiric novel „Gulliver`s Travels“ who not only studied here, he has been the supervisor of this library also.

Ihr seht ja hier die Glaskästen. Masterchen war entzückt, dort Werke zu finden, die seiner Zeit die Welt veränderten. Wir sahen:
These Books changing the world we found remarcable:

Apian, Peter: Cosmographica (Köln 1574): Apian war ein deutscher Kosmograph und Mathematikprofessor in Ingolstadt, wo die Illuminaten herkommen (ob er auch einer war?). Apian erklärt das ptolomäische System des Kosmos, das bald darauf sein Ende finden sollte. Er beschäftigte sich mit Navigation, allerdings auf Grundlage einer falschen Vorstellung unseres Planetensystem. Deswegen erlitten so viele Schiffbruch.
The German cosmographer Apian has been professor of mathematics at Ingolstadt/Bavaria. It was bestseller translated in at least four other languages besides Latin. This is the well preserved English edition, funnily enough printed at Cologne/Germany. Apian provides an introduction in Ptolomaic philosopy that soon after came to an end. We wandered how he could write a paragraph about navigation based on the wrong cosmological theories. We understood, therefore so many sailors shipwrecked.

Galilei, Galileo: Systema cosmicum (London 1663): Galileo, der das Teleskop als erster benutzte, versetzte dem ptolomäischen System den Todstoß, wenn auch die Kirche noch einige Zeit an ihm festhalten solte. Übrigens entgegen aller Vorurteile hat die Kirche in Person von Kardinal Barberini Galilei keineswegs schlecht behandelt. Er bekam wie wir auch manchmal von Masterchen Hausarrest. Mit diesem fein bebilderten, exzellent erhaltenen Buch setzte sich das heliozentrische Weltbild durch. Wir waren völlig erstaunt, dieses Buch in der Bibliothek eines Erzbischofs zu finden. Wisst ihr warum? Es wurde gebannt.
Tycho Brahes Werk „Astronomiae instauratae mechanica“ (Nürnberg 1602) lag gleich neben seinem Zeitgenossen Galilei. Von Brahe erzählte uns Masterchen, dass in einem Duell in Deutschland seine Nase verlor. Und nun? Er ließ sich aus verschiedenen Metallen eine für jeden Tag der Woche fertigen. Findig dieser Kerl, der Zeitgenossen zufolge ein Raufbold war. Uns haben die feinen Illustrationen angezogen.
It was actually Galileo who replaced the Ptolomaic geocentric system with his heliocentric model. The church didn`t like that at all and banned his book what didn`t mean that an Archibishop wasn`t allowed studying it in his library. Marsh has been quite liberal, he owned several editions of Galileos work in his library.
Brahe was an contemporary Danish aristrocat famous for his fighting. In a duell in Germany he lost his nose and got several noses made of metall.  Altough Brahe had built an excellent oberservatory he followed the Ptolomaic idea of the earth in middle of our universerse, a centre um which all the planets were circuling around. 

Kepler, Johannes: Prodromus dissertationum cosmographicarum (Frankfurt/Main 1621): Eine gut erhaltene Ausgabe, bei der uns bes. Keplers Vorstellung der platonischen Körper (Gleichflächner) interessierte. Masterchen erklärte uns langmutig die Abbildung der ineinandergeschachtelten platonischen Körper. Wir machen es kurz, nach Kepler ergibt sich bei dieser Schachtelung, dass die Mittelsenkrechten der Körperflächen eine Zentrallinie schneiden und zwar in dem Verhältnis der Entfernung der Planeten voneinander. Habt ihr das verstanden? Wir auch nicht. Aber hier die Abb. dazu

Also so sieht es aus. Masterchen hat das vor Zeiten abgemalt. Es steht in seiner Lexikon-Bibliothek.
Kepler has been an influential German cosmograph who believed in the harmony of the cosm. His famous plate (you see above) show the so called „Platonische Körper“ in their relation to the structure of our universerse. Kepler did not only write science he is seen as one of early science fiction writers, too.

Was fanden wir noch? Eine schöne Aristoteles Ausgabe (Venedig 1550) mit einem Kommentar des arabischen Gelehrten Ibn Rushd. Es soll die letzte Ausgabe mit diesen Kommentaren sein, wie der Herausgeber Tommaso Giunta versicherte, da Christen diese Kommentare für „trash“ hielten. Dann eine Ausgabe von Francis Bacon (Oxford 1640), der Aristoteles angreift und auf Empirie setzt, was damals skandalös war. Und dann diese berühmten „Discours“ von René Descartes, mit denen es Schluss mit Aristoteles war. Aber Descartes auch, der nämlich bei der klugen Königin Christina von Schweden als Hofphilosoph lebte und dort an Lungenentzündung starb. Einige meinen übrigens, er sei vergiftet worden.
Whatelse did we find: An Aristotle-edition (1550) with the comments of the famous Arabic scholar Ibn Rushd, thought of as the last book with his commants. And then a Francis Bacon edition (1640) and a René Descates edition (1658) both books are the first ones contradicting Aristotle by using empiristic methods. A revolution in the world of science.

So schön gebundene Bücher stehen leider nicht in unserer Bibliothek, dagegen ist unsere Wohnstätte auf Regalbrett drei und vier wie sozialistischer Plattenbau 😉
Also, in solcher Umgebung geht unser Buchfeenherz auf 🙂

This world we love. Shall we say more …
Unfortunately we haven`t such nicely bound old books standing in our library. It`s a pity we haven`t had an collector of old books in our family 😦

Jetzt bedrängen wir Masterchen, dass er auch solch eine feine Leiter baut. Nicht dass wir Buchfeen die brauchen, wir können ja schweben und flattern, aber Masterchen und Dina würde die helfen.

Now we want our Master to provide such a wooden ladder, no, not for us, fotunately we are winged, but for him and his beloved Dina.

Eine Besonderheit dieser ehrwürdigen Bibliothek sind die drei Lesezellen oder Alkoven, die ihr in der Collage unten (oben in der Mitte) seht. Wer seltene Manuskripte oder Bücher lesen wollte, wurde in diese Zellen eingeschlossen. Außerdem waren zu Beginn der Bibliothek seltene Bücher angekettet. Das ist aber noch harmlos, im 13. und teilweise noch im 14. Jh. wurden in Mitteleuropa zwar illuminierte Handschriften ausgeliehen, aber als Pfand musste der älteste Sohn mitausgeliehen werden.
In the middle of the following collage you see the wired alcoves where readers of rare books were locked. Originally many of the books were chained to the shelves. That`s quite a human method because in the 13th and 14th century you had to lend out your son if you wanted to borrow one of the illuminated manuscripts.  

Marsh`s Library

Marsh`s Library
Collage und Fotos: Hanne Siebers

Mit liebe Grüßen vom kleinen Dorf am großen Meer, wo wir gerade daran arbeiten, über die Chester Beatty Bibliothek zu schreiben, die von Marsh`s Library übrigens eine Sammlung alter orientalischer Schriften bekam. Beim Beitrag über die CB Library werden wir uns mit der Entwicklung des Buchs beschäftigen. Warum wir so emsig sind? Wir bekommen von Masterchen 50 Fayrietaler Taschengeld für die Beiträge und überhaupt …

Love from our little village at the big sea where we working on an article about the Chester Beatty Library. You`ll read that soon. It will be about the development of books.
Why are we doing all this? We are getting fifty Fayrie-Guineas for every arcticle from our beloved Master and we love it 🙂

Also bis bald
die Buchfeen Siri und Selma 🙂 🙂

Ach, übrigens und überhaupt:
Wir Buchfeen fänden es supermagetoll, wenn ihr uns Beiträge über eure Lieblingsbibliotheken schicken würdet, die wir auf unseren Buchfeenblog hier veröffentlichen würden. Es kann auch eure eigene Bibliothek sein. Und mit Fotoknipsis, bitte 🙂 an mail(at)kbvollmar.de. DANKE! 🙂 Ach und  noch `was: Auf Dinas Blog könnt ihr noch zwei Collagen von dieser zauberhaften Bibliothek sehen – so jetzt ist aber Schluss, puh!

Last not least I would be extraordinary great if you could send pictured articles about our favourite library, even if it is your own. We would  publish them here. Please send to: mail(at)kbvollmar.de. A big thank you 🙂 You will find more pictures on Dina`s Blog.  

Zum Welttag des Buches

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Zum Welttag des Buches

Umzingelt von Büchern wuchs ich auf, in meinen vor-alphabetischen Zeiten freilich als Schrecken für jedes Buch, dessen Seiten ich milder gestimmt bekritzelte, kühner aufgelegt herausriss. Obwohl ich halb erwachsen jahrelang die Psychoanalyse genoss und als Nach-Bildung zu verstehen lernte, waren es doch die Bücher, die mich veränderten und zu dem machten, der ich heute bin. Zwanghafter Buchfreak könnte man mich nennen, einer, der nervöse Zuckungen bekommt, Schweißausbrüche, wenn kein Buch in Griffnähe bereitliegt. Immerhin habe ich meine preußische Erziehung überwunden, nach der man ein angefangenes Buch bis zu seinem erlösenden Ende lesen muss, ein Syndrom, unter dem auch unsere Königin litt, wie Alan Bennett in „Die souveräne Leserin“ berichtet. Dieses Martyrium tu ich mir nicht mehr an. Ich lege Bücher weg, die nach Seite zwanzig immer noch zum Einschlafen verführen wie dieser englische Klassiker „Middlemarch“ von George Eliot oder die dicken Wälzer von Cowper-Powys. Aber wohin, mit den verworfenen Werken? Verschenken wäre boshaft, also spenden nach der Devise, dass kein Buch nicht einen begeisterten Leser findet. Obwohl Heide spende ich der Kirche, denn in den Kirchen der Küstendörfer Nord-Norfolks tauscht die wacker lesende Bevölkerung ihre für nicht regalwürdig befundenen Bücher aus.

Der Autor vor dem Antiquariat in Cley next the Sea, erschöpft vom Stöbern

An einer Buchhandlung vorbei zu gehen, ist eine Unmöglichkeit für mich und bei Einladungen schweift mein hemmungslos indiskreter Blick zum Bücherschrank der Gastgeber. Oh Schreck, ich lebe mehr in der Buchwelt als in jener Anderswelt, die mancher als real bezeichnet.

Analfixiert sammle ich Bücher, aber es gibt wohl mildernde Umstände, nämlich ich sammle nicht, um zu haben, sondern um zu lesen – für mich das Sein, von dem Erich Fromm spricht. Mein Schätze sind die wurmstichige englische Erstausgabe von Nansens „Farthest North“, Richard Wilhelms „I Ging“ in der Jugendstil-Erstauflage, eine hochedle, große wie schwere Ausgabe des „Kamasutra“ und Malinowskis Buch mit dem irreführenden Titel „Das Geschlechtsleben der Wilden“ (für ein Pfund auf einem englischen Flohmarkt entdeckt – in Deutsch!), von dem Freud und Jung einiges übernahmen. Dazu kommen noch einige Erstauflagen in erbarmungswürdigem Zustand der Diederichs Reihe „Märchen der Weltliteratur“. Zum Analfixierten, wie jeder seit Freuds Schriften weiß, gehört auch die Ordnung. Aber hallo, Bücher und Ordnung gehören zusammen wie Druckerschwärze und Papier. Wie oft habe ich schon meine Bibliothek geordnet. Und gerade kann ich mich gar nicht recht aufs Schreiben konzentrieren, da Dina und die Buchfee Selma Bücher nach den Farben – oh dear! – von überall aus den Regalen ziehen, um Fotos zu machen. Schande über sie, sie stellten nicht einmal einen Stellvertreter ein.

Obwohl ich am Inhalt der Bücher interessiert bin und obwohl mich die Bücher aus meinem Haus kafkaesk verdrängen, kann ich mich nicht an E-Books erfreuen, die eigentlich viel praktischer sind. Aber unter uns gesagt, das sind doch keine books – kein Rascheln des Papiers beim Umblättern der Seiten, nicht dieser Buchstaubgeruch. Wir stecken unsere Nase ins Buch, da nehmen wir einen Mix aus Papier, Tinte und Leim wahr, manchmal duften Bücher nach Herbst oder Schimmel, wenigen Büchern haftet ein Sommerduft an. Und das Allerneuste: Ein Berliner Parfümeur hat gerade das Parfüm „Paper Passion“ zum Betören jeder Leseratte kreiert, Karl Lagerfeld – auch ein Buchfreak – entwarf die Verpackung und Günter Grass steuert ein Gedicht bei.
E-Books weisen auch keine Gebrauchsspuren auf wie der fettige Fingerabdruck in Ecos „Der Friedhof in Prag“, der mich an Fahrt mit dem ICE nach Zürich erinnert, als ich selbst beim Essen dieses Buch nicht zur Seite legen konnte.

Ich wage es kaum zu bekennen, die griechisch-römischen Klassiker Aristophanes, Sallust, Lukrez und selbst Cicero und Cäsar (nicht Plato und erst recht nicht Ovids „Metamorphosen“) dienen mir als Buchstützen und teilweise gar als Unterbau für meine Regale, wohin ich auch Aristoteles verbannte. Die helle Leselampe steht auf einer dieser kastrierten Ausgaben von Melvilles „Moby Dick“ (die wenigsten Ausgaben sind vollständig) und auf Bram Stockers „Graf Dracula“ fürs Volk. Meine Wände sind längst alle voll verbucht, denn Bücher isolieren vorzüglich (besser als jeder Isolierschaum). – Kurzum, Sie sehen, ohne Bücher kann man gar nicht leben und elend nur überleben.

Noch gar nicht erwähnte ich all jene geduldigen Büchlein, in die ich schreibe: Mein Journal über die gelesenen Bücher, die ich lästerlich oder gnädig charakterisiere, mein Arbeitsjournal, das ich wie Bert Brecht als Ideenbuch führe und das allseits beliebte Tagebuch, Moleskin natürlich in der Tradition Hemingways. Und vielleicht führen Sie ja noch einige Bücher mehr. – Oh, Hilfe! Die Diktatur der Buchführung unseres Lebens ist ausgebrochen.

Well, da sitze ich in meinem Schaukelstuhl, draußen stolziert der Fasan mit seinen vier Weibchen vorbei, als ob ihm mein Garten gehöre und Siri und Selma, meine Buchfeen, beschimpfen mich als Stubenhocker. Sie flattern anmutig mit einem Transparent „Ehre dem Buch“, auf blauer Seide gelb gestickt, in unserem kleinen Dorf die Küstenstraße auf und ab. Ray, der weißgelockte Dorf-Antiquar, reicht ihnen eine Tasse heißen Tees heraus, in kleinen Schlucken trinkend regt sich Siri über den Titel des neusten Buchs von F.C. Delius auf „Als Bücher noch geholfen haben“ (seine Memoiren). „Tempusfehler!“ ruft sie erbost flügelflatternd. Ich überlege derweil, ob ich über das hochbrisante Thema des Bücherverleihens noch schreiben sollte oder genügt ein radikales „Niemals!“, da verliehene Bücher die Tendenz zeigen, beleidigt nicht mehr zurückzukommen.

Wer wissen möchte, welche Bücher seine Bibliothek zieren und Abende verschönern würden, der kann auf Dinas Blog Anregungen bekommen.

Einen frohen Buchtag wünscht
Klausbernd