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The Devil

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Der Teufel

Es braucht nicht viel analytischen Scharfsinns, um zu erraten, dass Gott und Teufel ursprünglich identisch waren, eine einzige Gestalt, die später in zwei mit entgegengesetzten Eigenschaften zerlegt wurde […] Es ist der uns wohl bekannte Vorgang der Zerlegung einer Vorstellung mit […] ambivalentem Inhalt in zwei scharf kontrastierende Gegensätze.

One doesn`t need much wits to see that god and devil have been identical originally, they have been one being that was divided in two opposed characters later. That is the well known process of dividing one ambivalent idea in two sharply contradicting poles.

Sigmund Freud

Nachdem unser Artikel über die Hölle teuflisch gut ankam, beschlossen wir Buchfeen, über den Teufel höchstselbst zu schreiben. Masterchen meinte nämlich, die Hölle sei ein Vergnügungspark, in dem der Teufel die Hauptattraktion darstellt. Und wenn man vom Teufel spricht, dann kommt er.

As our post about the hell was develishly successful we Bookfayries decided to write about the devil himself. Our Master`s comment: „The hell is a funfair in which the devil is the main attraction.“

Teufel1

Die Schiffsglocke wurde angeschlagen, Masterchen erhob sich, um die im Sommer stets etwas klemmende Tür zu öffnen.
“Haben Sie für zwei Nächte ein Zimmer frei?”, fragte sie, die wir Buchfeen gleich mit unserem besonderen Sinn als eine “blond beautiful bitch” erkannten. Aber, ach, unser Masterchen ist bisweilen so naiv! Das kommt wohl davon, wenn man seine Nase ständig in Bücher steckt. Zeit zum Warnen hatten wir keine, denn er bot nach beflissentlichem Zeigen des Zimmers auch gleich “tea for two” an, den er in unserem Wohnzimmer zu servieren gedachte. Bodenkultur pflegen wir dort, was bei diesem Gast mit kurzem roten Röckchen tiefe Einblicke versprach. Obwohl auf Teufelslist gefasst, waren auch wir fasziniert und konnten wie Masterchen unseren Blick nicht abwenden. An ihrem inneren rechten Oberschenkel war ein lustiges Teufelchen tätowiert, das seinen Dreizack auf die glatt rasierte Scham richtete.

Our ship`s bell was ringing and our Master got up to open our jammed door.
„Have you got a room for two nights?“ she was asking, she, who we Bookfayries immediately thought to be a „blond beautiful bitch“. But, oh dear, our Master is sometimes so naiv! We suppose that`s because he lives all the time in his bookworld only. It was too late to warn him because he offered her assiduously a tea for two. As we live on the carpet without table and chairs in our living room the tea on the floor would open quite some insights. Although we were expecting a devilish cunning, well, her skirt was short enough, we couldn`t stop gazing fascinated like our Master. We stared at that tattooed little devil on her right inner thigh who pointed his trident on her nicely shaved vulva.  

Teufelchen

Um Masterchen nicht vollständig Frau Teufel verfallen zu lassen, haben wir sie frei heraus befragt, was denn ihr Machtbereich sei.
“Wir Teufel herrschen über all die schönen, verlockenden, aufregenden Dinge der Welt. Dieser Ambrose Bierce hat es in seinem ‘Lexikon des Teufels’ ausgeplaudert, der Teufel wurde durch eine Frau auf die Erde geleitet. Er hat natürlich nicht gesagt, dass diese Frau sich von ihm emanzipierte und die bin ich.”
Als Masterchen, seinen Blick nicht von der Tätowierung wendend, William Blake zitierte “Der Weg des Exzesses führt zum Palast der Weisheit”, machten wir uns ernsthaft Sorgen.
“Er hat doch recht”, stimmte Frau Teufel zu, “es geht um das Ablegen irrationaler Schuldgefühle, darum, sich von unfruchtbaren Hoffnungen und Träumen zu befreien. Und überhaupt ziehe ich es vor, eine ehrliche Egoistin statt eine nette Scheinheilige zu sein.” Als sie dann noch sagte, dass der Teufel für Genuss statt Zwang, für Klugheit und Verantwortung statt Selbstbetrug stehe, hatte sie auch unsere Sympathien gewonnen. Immerhin ist der Teufel dem Naturwesen Pan verwandt, den wir Feen nahe stehen. Unsere Verwandtschaft zeigt sich schon darin, dass der Teufel bereits in vorchristlichen Jh.  wie wir mit Hautflügel ausgestattet wurde. Masterchen meint, das ginge auf China zurück. In unseren Kulturbereich tritt der Teufel als Flatterwesen wie wir Buchfeen erst im Mittelalter in illuminierten Handschriften und Fresken auf. Und seien wir doch ehrlich, ohne diese Teufel wäre die Welt langweiliger da so viel weniger lustig. Wir Feen können es gut mit den Teufeln. Stellt euch vor, wir würden euch nicht mehr zur Lust verführen – nicht nur, dass ihr dann aussterben würdet.

To prevent our Master to fall for Ms Devil we asked her what her domain of power is.
„Devils rule over everything that is the beautiful, exciting,  and alluring. Ambrose Bierce blabbed it in his satirical lexicon ‚The Devil`s Dictionary‘ that the devil was led to the earth by a woman. Of course, Bierce didn`t mention that this woman emancipated herself and getting free from Mr Devil. And I am this woman.“
When our Master quoted William Blake without turning his glance from that tattoo „the path of excess leads to the palace of wisdom“ we became really worried.
„You are right“, agreed Ms Devil, „it`s all about overcoming irrational guilt feelings and to free oneself from fruitless hopes and dreams. I prefer being an honest egotist to being a nice hypocrite.“ When she was going on that the devil stands for indulgence instead of constraint, for wisdom and responsibility instead of self-deception she had won our sympathy. And anyway the devil is related to nature-beings like Pan with whom we fairies are related as well. This connection shows in the wings that the devil has got like us already B.C.  Our Master told us this goes back to Chinese ideas, whereas in our culture area you will find the winged devils as us winged fairies in illuminated manuscripts and frescoes not before the middle ages. But anyway, without the devil our world would be less cheerful. Yes, we Bookfayries like the devils. And imagine we would not seduce you to live your desires – not only that you would become extinct …

Teufel Dor

The Devil by Gustave Doré (from John Milton`s „Paradise Lost“)

So vor sich hin sinnierend, hörten wir Masterchen eifrig fragen: “Stimmt es, dass der Teufel ein Spiel- und Zechkumpane des großen Boccaccio war? Er war dessen angeklagt worden, so las ich.” Worauf Frau Teufel erklärte, dass es immer, wo es um Lust geht, der Teufel sich erbarme, da die Engel, diese neutralen Langweiler, es wirklich nicht bringen würden, wenn auch einige neuerdings bei uns Nachhilfe in Sachen Verführung nehmen. “Aber eigentlich sind doch diese Engel Duckmäuser, die sich eher in die Hose machen, als sich gegen diesen autoritären Gott aufzulehnen und nicht einmal zu Orgien sind sie fähig, pah! Da hat doch der Teufel ein anderes Format”, fuhr Frau Teufel überzeugend fort, “er war Begleiter jenes Doktor Faustus, der in Krakau, Toledo und Salamanca lehrte. Marlowe und Goethe haben ihn unsterblich gemacht, diesen Mephisto, ‘ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.’ Kann man nicht daraus folgern, dass Gut und Böse eh relativ sind?”

Musing like this we heard our Master devotedly asking: „Is that true that the devil was the playfellow and booze buddy of Boccaccio? This great poet was indicted to be the devil`s friend, I read.“ Ms Devil explained that the devils always have mercy if desire is involved because those boring angels are loosers who don`t get anything working. Newly some of them take private lessons in seducing in the devil academy. „But all in all those angels are sneaks who don`t dare to rebel against an authoritarian god. And they can`t even celebrate an orgy!  Well, the devils just show more style“, Ms Devil continued convincingly, „Mephistopheles was the tutor of the famous Doktor Faustus who taught in Krakow, Toledo and Salamanca. Marlowe and Goethe made him immortal. Well, this Mephistopheles who calls himself part of this power who wants the evil but produces the good. You see, good and evil is very relative, isn`t it.“         

The Devil (Lucifer)

The Devil – Lucifer the fallen angel as he is banned by god from the heavens (by Mihaly Zichy)

“Behaupten nicht einige, der Teufel sei das Gewissen, das den Menschen verfolgt und peinigt?”, fragte Masterchen jetzt ganz in seinem Element und wieder – endlich! – bei Sinnen.
“Das ist eine infame Verleumdung dieser Brillenschlange Otto Rank, die Freud dazu brachte, im Teufel auch das Vater-Imago zu sehen.” Nachdem sie ihre Tasse austrank, fügte sie so süß lächelnd noch hinzu: ”Die Volkskultur hat uns verstanden, der wir Teufel zum Trickster wurden, witzig gewitzt und zu jedem Streich aufgelegt.”
Und nun erinnerte sich Masterchen an seine Kindheit, als er kleine gläserne Teufelchen in einer mit Wasser gefüllten Flasche tanzen ließ, indem er den Korken auf und zu drehte. Immer, wenn er lieb war, bekam er ein anders farbiges Flaschenteufelchen geschenkt.

„Some folks claims the devil being the conscience that people hunts and afflicts“, said our Master now turning to his field of knowledge and – thanks the devils – in his right mind again.
„That is an infamous denial of this four-eyed Otto Rank who made Freud to see the father-imago in the devil.“ After she had finished her tea she added smiling so sweetly: „The folk culture did understand us right in making the devil to the archetype of the trickster, witty and funny and open for every trick.“
And suddenly our Master remembered his childhood when he played with this glass devils letting them dance in the bottle by loosing and tightening the cork. And always when he behaved well he got another coloured devil.

Hell is empty, devils are here
William Shakespeare „The Tempest“

Wir Buchfeen ließen die beiden alleine, sollten sie doch ihren Spaß haben. Unterdessen haben wir nachgeschaut, wo der Teufel in der Literatur eine Rolle spielt. Der Teufel hat so viele Autoren und nicht nur das, auch Musiker und Filmemacher, angeregt, dass wir euch hier nur jene Werke kurz vorstellen, die wir selbst gelesen haben.

Now we Bookfayries leave our Master and Ms Devil alone to amuse themselves. In the meantime we had a look at where the devil plays an important role in literature. But oh dear, the devil has inspired so many artist – not alone writers but musicians, film directors and painters too – that we only introduce those novels we have read.

The Devil - Liege

The Devil as Lucifer in the cathedral Saint-Paul de Liége/Belgium (credit: Luc Viatow, http://www.lucnix.be)

Adalbert von Chamisso: Peter Schemihls wundersame Geschichte (1813) – Peter Schlemilh: The Shadowless Man
die von dem Mann handelt, der seinen Schatten an den Teufel verkaufte. Warum der Teufel diesen Schatten haben wollte, das wissen nicht einmal Götter. Auf jeden Fall lesen wir unterhaltsam dargeboten, dass es sich ohne Schatten reichlich schlecht lebt.
The well written story is about a young man who sells his shadow to the devil. Why the devil is in need of the shadow is not explained but we read astonished how horrible it is living without a shadow. The tale is told partly in the tradition of the romantic fairy tales.

A. Chamissos Peter Schlemilh (deutsche Erstausgabe)

A. Chamissos Peter Schlemilh (first edition)

E.T.A. Hoffmann: Das Elixier des Teufels (1815/1816) – The Devil`s Elixiers
Der Vorfahre eines Mönches hatte eine Beziehung zu einem Teufelsweib, wodurch Medardus, der dazu noch vom Elixier des Teufels probiert hat, verdammt ist, viele seiner Verwandten ins Unglück zu stürzen. Schön schaurig im romantischen Stil erzählt wie alle Erzählungen Hoffmanns.
This novel is based on a highly complicated plot as in the end everyone is related to everybody. Anyway an ancestor of the monk Menardus had a relationship to a female devil. Medardus, the custodian of the devil`s elixiers tries a little of those and immediately is condemned to kill most of his relatives or make them very unhappy. It is the classic gothic novel of the age of romanticism well told like all tales of Hoffmann.

Nicolai Gogol: Das Bildnis (1842) – The Portrait
Kurt Tucholsky hat diese Geschichte in der “Weltbühne” (Jan. 1921) beschrieben. Kurzum hier geht`s um ein Bildnis, das einem armen Künstler zu Ruhm und Geld bringt, ihn aber letztlich zugrunde richtet. Wie Peter Schlemilh lautet auch hier die Moral von der Geschicht`: Reichtum macht nicht glücklich.
The famous German writer Kurt Tucholsky did review this story in 1921. In short it is all about a portrait, as the title says, which makes a poor artist famous and rich but in the end produces his downfall. Actually quite a romantic clischee but well written. Like in Peter Schlemilh`s story is the moral of this tale: being rich does not make you happy. 

Jan Potocki: Die Handschrift von Saragossa (1847) – The Manuscript Found in Saragossa
Das ist einer verrücktesten, klügsten enzyklopädistischen Romane, die wir in Masterchens Bibliothek fanden. Es ist umwerfend und gut gemacht, wie Potocki das Wissen seiner Zeit in einen spannenden und sehr dicken Roman aufarbeitet. Ehrlich, ein Geheimtipp von uns.
This is one of the most mind blowing book we found in our Master`s library. This encyclopedic, sophisticated novel is worthwhile reading although it is very long and has many footnotes too. But Potocki succeeds to pack all the knowledge of his time in one thrilling novel.  An insider`s tip especially for those who are interested in esoteric knowledge and, of course, you will meet the devil there as well.

Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita (1940) – The Master and Margarita
Der mächtig von der Zensur gekürzte Roman ist eine Satire auf das Leben in Moskau. Einige zählen diesen Roman zu dem wichtigsten in Russland des 20.Jh. Hier hat der Teufel eine positive, erlösende Funktion.
We were not that impressed by this novel which is praised as one of the most important Russian novels in the 20th century. The text is very much shortened by Russian censorship and is a satire set in Moscow.

Thoma Mann: Doktor Faustus (1947) – Doctor Faustus
Obwohl wir Thomas Mann Fans waren, hatten wir mit diesem Roman über Musik schon immer Schwierigkeiten. Nicht nur, dass das Thema Musik für uns zu langatmig ausgeführt wird, sondern auch das der Stil einfach zu geschraubt künstlich ist. Es fehlt völlig die ironische Leichtigkeit des früheren Joseph-Romans, die wir bei Mann so lieben.
Although we have been admirers of Thomas Mann we always had our problems with this novel about modern music. Not only that the topic music is too lengthy written about for our taste, also the style is superficial and maniristic. This novel lacks the ironic lightness of the earlier written novel about Joseph and his brothers. Maybe when the devil is involved even Thomas Mann looses his easy irony. 

Und nicht vergessen Goethes Drama „Faust“, die dramatische Geschichte, die der deutsche Intellektuelle Heinrich Faust mit Mephisto erlebt. Mephisto ist Fausts alter Ego, dieser Teufel, der in jedem von uns wohnt und so oft verdrängt und dadurch gestärkt wird.
In the German literature the most important text about the devil is Goethe`s „Faust“, the story of an intellectual and his adventures with Mephistopheles (influenced by the Renaissance-drama of Christopher Marlowe). Mephistopheles is Faust`s alter ego, this devil living in everyone of us and is often made powerful by repression.

Christopher Marlow`s "Faust", first edition, 1620

Christopher Marlowe`s „Faust“, first edition, 1620

Da ihr die ihr die letzten beiden Titel sicher vom Film her kennt, brauchen wir wohl nichts dazu schreiben:
As you surely know those two titels from films we don`t need to write about those:
Ira Levin: Rosemary`s Baby
William Peter Batty: The Exorcist

Zum Schluss noch eine Geschichte, die ich gerade in Vargas Llosas Roman „Tante Julia und der Kunstschreiber“ las: Ein Mann erschreckt als Teufel verkleidet seinen Freund, der ihn in Panik erschlägt. Der Freund kommt nun als Teufel verkleidet in sein Dorf, wo er von einer Gruppe von Bauern erschlagen wird. Könnt ihr euch vorstellen, wie die Geschichte weiter geht? Klar, nun treten diese Bauern als Teufel auf. Der Held des Romans, ein verhindeter Schreiberling, überlegt sich, wie es wäre, wenn „der richtige Teufel“ zwischen all den verkleideten Teufel erscheinen würde. Diese Geschichte schrieb er allerdings nie.

Last not least a story I just read in Vargas Llosa`s novel „Aunt Julia and the Scriptwriter“: A man frigthens his friend for fun disguised as the devil. The friend slays him panicking and now it is him who comes in his village disguised as the devil where he is slain by a group of peasants. I suppose you guessed already how the story goes on. You are right, now those paesant appear in disguise of the devil. The hero of this novel, this unsuccessful scriptwriter, thinks about what would happen if the real devil would appear among all the disguised ones. But he never wrote this story.

Wir wünschen euch allen einen teuflisch guten Tag. Liebe Grüße und übrigens „dilige et quod vis fac“ (liebe und tue, was du willst), denn wir sagen mit Goethe (Faust) „uns plagen keine Skrupel noch Zweifel, fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel“.
We wish you all a happy day and remember this old Latin saying „dilige et quod vis fac“ (love and do what thou willt) as we say quoting the German poet Goethe: „we are neither afflicted by qualms nor doubts, we do not fear neither hell nor the devil“.
Siri und Selma, die höllisch guten Buchfeen 🙂 :-), die jetzt erstmal einen Kaffee trinken, heiß wie die Hölle und schwarz wie der Teufel 😉

Wie das Hässliche in die Kunst kam

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Schön hässlich

Denn es ist kein Liebender, der die Geliebte nicht vergöttert, sie sei so schief, wie sie will, so krumm, wie sie kann; ein talgiges Galgengesicht oder eine runde, platte Schießscheibe, oder dumm, dürr, dürftig, schief und schäbig wie eine Vogelscheuche, hohläugig, hühneräugig, schielt wie ein Huhn in der Sonne und blinzelt wie eine Katze vorm Ofen; Titten wie Quitten oder gar keine. Ums kurz zu machen: ein Kuhfladen im Backofen.
Robert Burton Anatomie der Melancholie

Hans Baldung Grien, Die Lebensalter des Menschen (1540) Ausschnitt

Hans Baldung Grien, Die Lebensalter des Menschen (1540) Ausschnitt

Vorige Woche hatte ich meiner Buchfee Siri eins meiner Lieblingsbücher gegeben, den „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach. Das ist ein Versepos aus dem ersten Jahrzehnt des 13. Jh. Dunkel nur konnte ich mich an die Gralsbotin Kundrie erinnern, bis gestern, da fragte mich Siri, wie eine solch hässliche Frau in die höfische Dichtung Einzug halten konnte. Wir lasen zusammen die Stelle, an der Kundrie im Gegensatz zum wunderschönen Parzival beschrieben wird. Ihre Nase gleicht einer Hundeschnauze, sie hat lange Zähne und ihr Haar ähnelt den Borsten eines Schweins. Uns hat das verblüfft, da doch im Mittelalter Schönheit mit edler Gesinnung gleichgesetzt wurde. So drückte der einflussreiche Thomas von Aquin kurz nach der Veröffentlichung des Parzivals die allgemeine Meinung des Mittelalters aus: „Das Schöne ist mit dem Guten austauschbar“. Schon in den chansons de geste (altfranzösische Geschichten von Heldentaten, die im 11. Jh. entstanden und im 12. Jh. ihren Höhepunkt erlebten) ist die Hässlichkeit stets ein Attribut des Bösen. Nicht so bei Kundrie, die trotz abstoßender Hässlichkeit die gebildete und edle Frau ist. In der Gestaltung dieser Figur wendet sich Wolfram gegen das herrschende Schönheitsklischee der höfischen Literatur. Er nahm damit eine Ansicht der Moderne voraus, dass nämlich das Schöne zwar bewundert wird, das Hässliche jedoch fasziniert.
„Das ist irgendwie wie bei unseren Freunden den Trollen und ET, sie sind hässlich, aber wir lieben sie“, meinen Siri und Selma verständnisvoll nickend.
„Am hässlichsten, richtig ekelhaft sind doch die Spuren dieser Krankheiten wie Syphilis, Pest und all diese Seuchen früherer Zeiten und wie fand dieses Ekelhafte Eingang in die Kunst?“ fragte Selma. Wie kam es zur Ästhetisierung der Krankheit?
„Dieser Aristoteles, der im Mittelalter für alles herhalten musste, schrieb bereits im 4. Jh. vor unserer Zeitrechnung, dass die bildliche Wiedergabe des Hässlichen Schönheit hervorbringt“, führte die erschreckend gebildete Siri an.
So machten wir uns emsig daran, nach all den Diskussionen über die Idylle auf unserem Blog, der Frage nach dem Hässlichen und Ekelhaften in der Kunst anhand der Darstellung der Krankheit nachzugehen.
Als die idealtypische ekelerregende Krankheit, die vielfach in der Literatur beschrieben wird, werden wir hauptsächlich die Darstellung der Syphilis betrachten, da sie seit dem 15. Jh. als „Krankheit an sich“ betrachtet wurde.

How ugliness entered art

Last week Siri started reading one of my favourite books Wolfram von Eschenbach`s „Parzival“. She was puzzled about the figur of Kundrie, the most disgusting looking lady of the middle ages. Her nose looks like dogs face, her teeth are very long, and her hair was like the bristle of a pig. We were astonished because during that time beauty was a sign of the good as Thomas de Aquino wrote. Since the chanson de geste the ugly person always was the evil one. But not in this case because Kundrie is a learned and very nobel lady. Wolfram designed this literary figure contradictiong the clischee of beauty. In this way he was quite modern seeing that that beauty is admired but ugliness is interesting.
„It`s like our beloved Trolls and ET, they are ugly but we love them“, said my Bookfayries Siri and Selma. „But when did ugliness entered art?“, they asked. So we agreed that it is easiest to study when artist started to describe the disgusting symptoms of deseases. We
 have chosen the example of syphilis (pox) as it is seen as the most ugly disease.

Domenico Ghirlandaio, Greis mit Enkel (1490)
Domenico Ghirlandaio, Greis mit Enkel (1490)

Seit der Renaissance wird die Syphilis als Krankheit wahrgenommen. Ihre Benennung verdankt sie der Poesie, nämlich dem Gedicht „Syphilidis“ des Veroneser Poeten Girolamo Francastoros (1483 – 1554). Von nun ab sollte sie Dichter und Maler bis in unsere heutige Zeit zur Darstellung des Hässlichen inspirieren. Die Neugier an der „Physica curiosa“ (wie der naturwissenschaftlich interessierte Jesuit Caspar Schott [1608 – 1666] sein Werk mit physischen Aberrationen nannte) griff um sich. Ein voyeuristisches Interesse wurde befriedigt, das nach Sigmund Freud gar einen befreienden Charakter besitzt, da es den Rezipienten aus seiner gewohnten Welt befreit und ihn mit dem Verdrängten konfrontiert. Diese Konfrontation besitzt einen kathartischen Effekt, der sich häufig im Lachen angesichts der Abbildung des Hässlichen zeigt. Besonders die „abgefallene Nase“ als eklatante Abweichung vom klassischen Profil galt als abstoßend, doch zugleich immer wieder als beschreibenswert. Wir finden sie beschrieben speziell im 18. Jh. bei Daniel Defoe („Roxane“, 1724), Henry Fielding („Reise von einer Welt in die andere“, 1743) und Jonathan Swift („Lettres de Lord Chesterfield“, 1774-78) und den Werken von Baudelaire und des Marquis de Sade, um nur einige zu nennen. Die Darstellung der „weggefressenen Nase“ wurde meist satirisch in Nebenhandlungen eingesetzt. Sie stigmatisierte nicht nur die Lüsternen, sondern diente vor allem zur Erzeugung eines schwarzen Humors. Bereits zuvor hatte das elisabethanische Theater – und allen voran William Shakespeare – große Erfolge mit der Figur des Syphilitikers mit deutlichen Symptomen. Sie diente der Erzeugung von burlesker Komik wie auch die Darstellung hässlicher Menschen im 16. Jh. Allerdings im sittenstrengen 17. Jh. war dann „Schluss mit lustig“, besonders sexuell übertragene Krankheiten galten als undarstellbar. Jedoch sollte die satirische Darstellung der Syphilissymptome in den pikaresken Romanen überleben wie bei Charles Sorel (1609-1674), der den ersten französischen Schelmenroman schrieb. Auch bei Jakob Christoffel Grimmelshausen (1622 – 1676) wird die Syphilis als lustige Krankheit angesehen, wie bei allen Schelmenromanen, die oft Prostituierte auftreten ließen.

The name syphilis was coined in the Renaissance. It was taken from the poem “Syphilidis” of Girolamo Francastoros from Gerona. From this time onwards syphilis inspired many artists until today. The “physica curiosa” attracted much curiosity. Freud valued the confrontation with desease and ugliness as katharsis, a cleaning process of the psyche by being confronted with the repressed material of our subconsciousness. It was especially the nose being eaten away because it contradicted drastically the classic profile. It is described in many novels of the 18th c. like Daniel Defoe`s „Roxane“ (1724), Henry Fielding`s „A Journey from this World to the Next“ (1743), Jonathan Swift`s „Lettres de Lord Chesterfield“ (1774-78) as well as in the works of Baudelaire and the Marquis de Sade. This description of the deformed nose was wildly used for comical effects mostly in the subplot. This already started with the Elizabethan theater and Shakespeare having big successes with figures showing syphilitic symptoms. They were fun for the audience at that time. But the prudish 17th c. ended this fun. It was not accepted writing about diseases and especially not about sexually transmitted ones. But nevertheless the eaten away nose survived in picaresque novels in Spain, France and Germany in which, like in Grimmelshausen`s “Courasche”, it added to the humoristic effects.

Diese lockere Einstellung zur Darstellung der hässlichen Kranken mag uns heute verblüffen, aber dabei sollte man bedenken, mit welchem poetischen Aufwand an Metaphern und Vergleichen die Krankheitssymptome beschrieben wurden. Grimmelshausen spricht davon, dass der Körper der Courasche mit Rubinen geziert war. Grundsätzlich wurden Ausschläge weit entfernt von jeglichem Realismus als Blumen und Edelsteine auf der Haut bezeichnet. Die hochgradige Poetisierung und Ästhetisierung sollte der Volksbelustigung dienen.

You may wonder about this coolness but you have to consider the poetical skill describing the symptoms of syphilis. There was no constraint in metaphors and poetic comparisons. The body is covered with precious stones or with wild flowers wrote Grimmelshausen for example.

Frau Welt, Dom zu Worms (hinten und vorne)

Frau Welt, Dom zu Worms (hinten und vorne)

Im Barock erlebten die Vanitas-Darstellungen eine große Beliebtheit. Speziell die Darstellung der Frau Welt war verbreitet, die vorne dem damaligen Schönheitsideal entsprach und hinten von Geschwüren und Gewürm zerfressen wurde. Ein Bild, das vor der Eitelkeit warnt wie in dem Gedicht von Andreas Gryphius (1616 – 1664) „Alles ist eitel“. Die Abbildung des Krankheitssymptoms wird moralisch eingesetzt, was in den folgenden Jahrhunderten nie verschwinden sollte und in den sozialdarwinistischen Ansichten des späten 19. Jh. und den Ideen von der Rassenhygiene des 20. Jh. seinen Höhepunkt fand.

Very in vogue was the image of Vanitas during Baroque. It was seen as “Frau Welt” (Mrs. World) a woman with a beautiful front and a back eaten away by ulcers. That should warn against vanity and remind the recipient of dying. To show the syphilitic symptoms was used for moralistic reasons. This attitude survived besides other points of view until the 20th c. It reached its hight in Social-Darwininistic and racial theories when in 1905 Alfred Ploetz founded the “Society for Racial Hygiene” in Germany (in Nazi Germany any disease was seen as a danger to the healthy Germanic race).

Frau Welt /hinten und vorn)

Frau Welt (hinten und vorn)

Bereits in der Renaissance besteht seit dem Humanisten Marsilio Ficino (1433 – 1499) jedoch auch die Ansicht, dass Krankheit, Wahnsinn und Genie zusammenhängen. Anfang des 17. Jh. wurde gar vertreten, Syphilis fördere die Inspiration. Dass Krankheit und Genie zusammenhängen, faszinierte besonders über hundert Jahre später die Romantiker, die allerdings die Darstellung der ätherischen Tuberkulose derjenigen der Syphilis, die romantischen Liebesvorstellungen widersprach, vorzogen. Thomas Mann knüpft im 20. Jh. in seinem „Zauberberg“ daran an, aber er gestaltet in „Doktor Faustus“ auch den genialen Syphilitiker.
Es ist typisch für die Darstellung der hässlichen Krankheit seit der Romantik, dass sich die Autoren eher für die psychischen Symptome als für die körperlichen interessieren. Das Hässliche bekommt zunehmend eine psychische Dimension.

Besides the moralistic view of diseases there existed quite a different one. Since Renaissance and Marcilio Ficino (1433 – 1599) a connection was seen between disease and genius. From the beginning of the 17th c. it was even believed that syphilis triggers imagination. Most poets were taken by this idea during the Romantic age about a hundred years later. But their favourite disease was the etheric tuberculosis as syphilis contradicted their ideal of love. In this tradition Thomas Mann wrote his novel “Magic Mountain” but he followed the idea of syphilis producing the genius as well in “Doktor Faustus” – but that was in the 20th century. Since the age of Romantic authors became more interested in the symptoms of the psyche than those of the body.

XXXX

Hieronymus Bosch , Kreuztragung Christi (1490), Ausschnitt

Im Sturm und Drang beschreibt Friedrich Schiller im tabubrechenden Stil seines Dramas „Die Räuber“ (1781) die Symptome der Syphilis als schauerlich und regt damit die nachfolgenden Romantiker zur „Erfindung“ des Schauerromans an. Schiller bemerkte bereits weit vor Freud, dass uns „das Schauderhafte mit unwiderstehlichen Zauber an sich lockt.“

Schiller`s revolutionary Storm and Stress drama “Die Räuber” (The Robbers, 1781) describes for the first time the syphilitic symptoms in a way that makes you chiver like in a gothic novel “invented” by the romantic poets a little later.
(The English phrase “Storm and Stress” is a poor translation of the German “Sturm and Drang” rather meaning “Storm and Longing”)

XXX

Pest, Buchmalerei 14. Jh.

Schon der Frühromantiker Friedrich Schlegel hatte 1795 in seiner Schrift „Über das Studium der griechischen Philosophie“ dem Schönen das Hässliche gleichberechtigt zur Seite gestellt und sich gegen den Harmoniekult der Klassik und die Vernunft der Aufklärer gewandt. Johann G. Sulzer propagierte kurz zuvor in seiner Ästhetik „Allgemeine Theorie der schönen Künste“ 1782 die Durchbrechung der klassischen Regeln. Die Romantiker werten von nun an das Krankhafte und Hässliche auf – wie in Mary Shelleys „Frankenstein“ und Victor Hugos „Der Klöckner von Notre Dame“. Hugo schreibt bereits 1827 im Vorwort zu seinem Cromwell-Drama das höchste Lob des Hässlichen, dem dann die einflussreiche „Ästhetik des Hässlichen“ (1853) des Hegel-Schülers Karl Rosenkranz folgt. Nun beginnt sich die Avantgarde der Autoren mit Georg Büchner (1813 – 1837), Charles Baudelaire (1821 – 1867) und Honoré de Balzac (1799 – 1850) für das Hässliche und somit speziell für das Krankhafte zu interessieren.

The early Romantic Friedrich Schlegel wrote in his philosophy of aesthetics that ugliness is always a part of the beautiful and it is as important in art as the beautiful. This contradicted the Classic cult of harmony and the philosophy of the Age of Reason. Romantic poets were fascinated by describing ugliness as in Mary Shelley`s “Frankenstein” and Victor Hugo`s “The Hunchback of Notre Dame”. Hugo highly praised the description of ugliness in the preface of his drama “Cromwell”, an attitude followed by Karl Rosenkranz in his “Aesthetics of the Disgusting” (1853). From now on the avant-garde poets like Georg Büchner, Charles Baudelaire and Honoré de Balzac became interested in describing the disgusting.

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Peter Paul Rubens, Das Haupt der Medusa (1618), Ausschnitt

1881 veröffentlichte Henrik Ibsen sein Familiendrama „Gespenster“, in dem die Syphilis zum Dreh- und Angelpunkt seines anfänglich äußerst umstrittenen Werkes wird. Von nun an wird sich die moderne Literatur durch die Schilderung von kranken Personen auszeichnen. Die Krankheit und ihre Symptome wurden endgültig enttabuisiert.

Zum Schluss wollten Siri und Selma euch alle darauf aufmerksam machen, dass zwar Schönheit weitgehend eine Frage von Proportionen ist, aber dennoch ästhetische Urteile nie absolut sind. Über den Kitsch als Sonderform des Hässlichen werden wir später noch etwas schreiben – wir haben noch nicht zu Ende gedacht.

1881 Henrik Ibsen „Ghosts“ was published being the first drama in which the syphilis is the pivot. From now on the ill person was liked in modern literature and art in general.

Siri and Selma want to mention that beauty is mostly dependand on harmonious proportions but nevertheless a subjective judgement. About Kitsch (brummagem) as an aspect of ugliness we might write later – we are still thinking … 

Als ergänzende Literatur empfehle ich

Umberto Eco: Die Geschichte der Häßlichkeit. München 2007
Nelson Goodman: Sprachen der Kunst. Frankfurt 1995
Franz Koppe, Grundbegriffe der Ästhetik, Frankfurt 1993
Gábor Paál: Was ist schön? Ästhetik und Erkenntnis, Würzburg 2003
Markus Tuchen: Ist Schönheit wirklich subjektiv? Paderborn, 26. August 2006

Eco_Haesslich

For further redading:
Umberto Eco: On Ugliness (2007)
Nelson Goodman: Languages of Art (1969)
the other books are available in German only

Greetings from Klausbernd and his Bookfayries Siri and Selma