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Schlagwort-Archive: Joseph Conrad

Der Anstalt entronnen

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Ihr Lieben,

ganz herzlichen Dank für eure guten Wünsche 🙂 Das hat mich wirklich gerührt, richtig lieb von euch.

Der Bruch ist operiert, wobei ich vom Herrn Prof. lernte, dass die Leiste eine Sollbruchstelle im männlichen Körper ist, um Schlimmeres zu verhindern. Ich habe etwas länger das Krankenhausleben genießen dürfen, da auch der Schnitt etwas länger sein musste. Das Verb „genießen“ ist im vorigen Satz keineswegs ironisch zu verstehen, ich geb`s zu, ich habe die knappe Woche genossen.
Nachdem ich den Zerberus der Verwaltung überwunden hatte, was wohl nur dem Gesundesten gelingt, bekam ich ein Einzelzimmer. Ich habe es mir als mönchische Zelle organisiert. Stuhl, Tisch, Bett – allerdings HiTec – sonst karger Stil, an dem es nichts auszusetzen gab. So lang so gut hatte der Herr Professor geschnitten, ich hatte nur zu Beginn Schmerzen, schnell war alles völlig erträglich. An die Linguistik des Krankenhauses musste ich mich allerdings erst einmal gewöhnen.
„Wollen Sie ein Schmerzmittel?“
„Nein, danke.“
Also bekam ich ein scheußlich süßes, leicht euphorisierendes Etwas im Pinnchen dargeboten, aus denen wir in Köln Schnaps trinken.
Man lernt ja – so hofft man. Beim Schlafmittel deuchte ich mich bereits klüger
„Möchten Sie ein Schlafmittel?“
„Ja, bitte.“
Nicht wie Ihr denkt – nun bekam ich zwei.

Foto: Christine Ackermann

Foto: Christine Ackermann

Wenn man in karger Krankenzelle im Bett sitzt oder liegt, kann man sich den Luxus des längeren Nachdenkens leisten. Da ich zuvor viele Aufsätze von Eco gelesen hatten, fiel mir an jenem lasziven dritten Krankenhausnachmittag ein, die Sprache meiner Umgebung zu betrachten. Ein wesentliches Accessoire ist der Tropf. Es macht schon etwas her, am Tropf zu hängen, nun wird man nicht nur im Krankenhaus sondern auch vor sich selbst als krank ernst genommen. Am Tropf hängend hatte ich gleich noch einen Erstsatztropfständer im Zimmer stehen, den ich beim Einzug für einen unpraktischen Kleiderständer hielt. Ja, am Tropf hing ich lang, bis die nette Schwester meinte „och, Sie können auch Tabletten nehmen.“ Ich hatte mich zuvor über den Anschluss beklagt, den, wie bei den Matrix-Filmen, jeder Echtkranke verpasst bekommt.
So lief ich stilgerecht herum: rechts der Tropf und links der Drip, ich meine die Dränage. Das ist man der Hoch-Adel unter den Kranken: „ernsthaft krank“.
Einmal täglich erscheint der Gott der Götter, um zu fragen, wie es einem geht. Nach beherztem Händedruck und väterlichem Blick hat er sogar Zeit für einige Worte. Dem Triumvirat aus Chefarzt, Oberarzt und Stationsarzt umweht der Flair eines englischen Crickett-Clubs, man ironierte sich kameradschaftlich aufbauend im Sinne des Sportgeistes. Die Plauderzeit gegen 11h  hat mir gefallen, gute Therapie!
Ich habe mich auf die Literatur konzentriert, mir mit dem Lesen Zeit genommen. Ohne Anwendungen wurde ich für Stunden nicht unterbrochen. So habe ich lange Passagen von Conrads „Lord Jim“ gelesen. Der größte Teil des Romans, der in Malaysia spielt, erinnerte mich irgendwie an „Wassermusik“, wenn auch Conrads Geschichte in Asien und T.C. Boyles Geschichte in Afrika spielt. Sicherlich realistisch und zugleich mit romantischer Exotik wird das Leben mit all seinen Gefahren und Intrigen auf einer abgelegenen Handelsstation geschildert. Gut gemacht ist das Verweben der Liebesgeschichte am Schluss mit der Anderswelt der Handelsstation für Jim, den edlen Romantiker – das große Thema: das Andere und die Angst. Ich habe das alles nur gelesen, da ich Siri Hustvedts „Der Sommer ohne Männer“ zu schnell durchgelesen hatte. Den Roman fand ich enttäuschend, da er mir zu Beginn zu fragmentiert ist und die Story nicht so recht in den Gang kommen will. Die zweite Hälfte des Romans fand ich weitaus besser. Das „name dropping“ wirkt affig, wenn`s auch seine Wirkung auf mich zeigte, indem ich staunte, wie Hustvedt zumindest dem Namen nach sich in deutscher Philosophie auskennt; aber zumindest ein Adjektiv zu dem jeweiligen Philosophen hätte ich mir gewünscht.
Außerdem hatte ich von Dina ein völlig falsches Buch für einen am Bruch Operierten dabei: Alan Bennett „Alle Jahre wieder“.
Ich muss Euch vielleicht aufklären, dass Lachen neben Niesen und Husten am meistens schmerzt nach einer Bruchoperation nach Lichtenstein – ja, ich kenn mich jetzt aus 😉
Ich kann nur sagen, Bennett ist vom Feinsten, zart ironisch, perfekt treffend, klug beobachtend und witzige Story. Wer es nicht kennt: Sehr empfehlenswert, allerdings mit großem Fehler: Ich las es rundum vergnügt in zwei Stunden.
Irische Märchen, die mir die Gartenfee mitbrachte, habe ich noch gehört, auch witzig –  und heute morgen wurde ich aus der Anstalt entlassen.
Also: Eure guten Wünsche haben genutzt. Ich fühl mich gut, nur noch etwas faul oder ich könnte es entschuldigend auch „müde“ nennen

Ganz herzlichen Dank Euch allen und liebe Grüße aus dem Gartenhaus
Klausbernd 🙂

der Morgen nach Buckow fahren wird, wo Brecht seine letzten Gedichte, den Gedichtzyklus  „Buckower Elegien“, schrieb.

Reisen mit Joseph Conrad

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Reisen

Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer als Inhalt hat?

Meinen Sie, aus Habana,
weiß und hibiskusrot,
bräche ein ewiges Manna
für Ihre Wüstennot?

Bahnhofstraßen und Rueen,
Boulevards, Lidos, Laan –
selbst auf den Fifth Avenueen
fällt Sie die Leere an –

Ach, vergeblich das Fahren!
Spät erst erfahren Sie sich:
bleiben und stille bewahren
das sich umgrenzende Ich.

 (Gottfried Benn)

Oh dear, manchmal denkt man beim Reisen, wäre ich doch besser zu Hause geblieben.
„Was will ich hier eigentlich?“ schrieb der französische Symbolist Arthur Rimbaud (ein Zeitgenosse Conrads) an seine daheimgebliebenen Freunde aus Äthiopien.

Nun sitze ich vor einem Salamibrötchen mit totem Salatblatt und Hefeweizen im Köln-Bonner-Flughafen. Um hierher zu kommen, brauchte ich eine Energie, mit der man früher Länder erobert hätte. Im Flughafenbus von Norwich nach London-Stansted war ja noch alles fein. Durch die Parklandschaft Süd-Englands fahrend las ich gemütlich Joseph Conrads „Lord Jim“, das Buch das fast gleichzeitig mit Freuds „Traumdeutung“ herauskam. Im Bus schaffte ich freilich nur zwanzig Seiten (Conrad schreibt ein schwieriges Englisch, finde ich), die mich durch ihre Beschreibungen der Stimmungen auf See faszinierten, erstaunlich für einen, der kein „native speaker“ war und sein Englisch auf See gelernt hat (er muss ähnlich sprachbegabt gewesen sein wie Vladimir Nabokov).

Der erste Flug gab mir die Chance weiter in „Lord Jim“ zu lesen. Ich war vom Regen in die Traufe geraten. Da ich den herben Charme beim Fliegen mit RyanAir nicht mehr ertragen konnte und herausfand, dass ich mit Germanwings mit meinem Gepäck günstiger fliegen konnte – selbst KLM wäre günstiger als RyanAir gewesen – nahm ich also Germanwings. Hui, die schienen Verbündete von Joseph Conrad zu sein: Die Verspätung des ersten Flugs brachte mich gleich bis über Seite fünfzig. Endlich im Flieger und hoffend den Anschlussflug nach Berlin noch zu erreichen, hetzte ich mit einer englischen Lady mit Hütchen und rosa Rucksack in Köln zu meinem Gate, um statt gerade noch einchecken zu können, eine Verzehrgutschein für üppige fünf Euro erhielt, da dieser Anschlussflug drei Stunden Verspätung hat. So sitze ich im ziemlichen leeren Flugplatz, der etwas Depressives ausstrahlt, das Brötchen ist gegessen, um mich nur noch hungriger zu machen. Aber das Hefeweizen hat geschmeckt. Ach ja und noch ein Desaster: Meine Wasserflasche musste ich in England zurücklassen, sie leckte, tropfte unbemerkt vor sich hin in meinen Rucksack, den ich gerade mit Servietten auswischte und nun lüfte. Gleich werde ich wieder zu meinen „Lord Jim“ zurückkehren, der noch idyllisch die Situation auf dem Pilgerboot beschreibt, wenn auch subtile Anmerkungen dem Leser klar machen, dass bald diese Idylle wohl heftig gestört wird. Diese Anfangsepisode auf dem Pilgerboot war ursprünglich als eine Kurzgeschichte gedachte, bei deren Schreiben Conrad jedoch klar wurde, dass sie das Potenzial besitzt, ausgebaut zu werden.
Ob ich heute Berlin noch erreichen werde? Die Lady mit Hütchen verwickelt mich in ein Gespräch über den Euro, ein Dicker in Nadelstreifenanzug geht auf und ab, seine Boardingkarte im Mund, was mich ans Rauchen erinnert. Naja, es gibt eine gelb markierte Raucherzone hier. An Schreiben oder Lesen kann man dort nicht denken, hier treffen sich die Kommunikativen, die Stimmung erinnert mehr an Karneval – klar doch, ich bin in Kölle. „Lord Jim“ muss ruhen, bis ich wieder im Flieger sitze. Eigentlich passt er auch nicht nach Köln, viel zu westlich. Es wird doch die Geschichte von einem erzählt, der immer weiter nach Osten geht. Jim, ein gekonnt konstruierte Person, wirkt sympathisch auf mich, aber ich vermute, da gibt es ein Geheimnis in seiner Vergangenheit, nicht nur, weil es Conrad schon zu Beginn andeutet, sondern weil das im Roman seit ewigen Zeiten so üblich ist. Die Vergangenheit holt einen ein. Ob ich deswegen unweit meines Geburtsortes hier festsitze?
Ich denke an Zeiten, als das Reisen noch geholfen hat, als meine werthen Großeltern mit Schrankkoffern und Personal freilich selten weiter als bis nach Capri reisten – in Stil, in Ruhe. Aber wer will heute noch verreisen? Und ich stelle mir wie Martin Mosebach die Frage, ob es nicht besser wäre zu lesen, als zu reisen. Ich mache beides 😉

Wunder geschehen! Mein Flug wird aufgerufen.
Angekommen 🙂

Liebe Grüße aus Berlin
Klausbernd

Ton, die Albatros und Mark Twain

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Ton, die Albatros und Mark Twain

Diesen Artikel über unseren Freund Ton wollten wir schon seit Langen veröffentlichen. Heute entdeckte Siri BuchFee, dass Mark Twain 176. Geburtstag hat. Wisst Ihr, was das heißt, ich meine „Mark Twain“? Martin weiß es als Segler sicher – zwei Faden tief.  Mark Twain ist  Lotse gewesen, hat Selma im Netz gefunden – deswegen …
Schnell zu Samuel Langhorn Clemens, wie Twain eigentlich hieß,  ein paar Worte und ein Bild als Geburtstagsehrung:

„Ein kerniger Mann“, meinte Selma anerkennend.
Natürlich haben wir beiden mit Glitzeraugen „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ und die des Huckleberry Finn gelesen. Wir fanden es super, dass endlich  echt freche Kinder die Romanhelden sind. Schon alleine deswegen verdient Twain als der witzigste Vertreter des amerikanischen Realismus angesehen zu werden.
Happy Birthday!

Naja und von einer nautischen Person zu einer ganz anderen, nämlich zu dem oben bereits angekündigten Ton. Während Twain und Melville die Seefahrt zugunsten des Schreibens aufgaben, blieb Ton als Skipper seinem Boot treu – wie es sich gehört.

Das iss er, Ton Brouwer, der Küstenkerl

Wie der Master war Ton ein „Shrink“ (wie Therapeuten hier bezeichnet werden). Womöglich erging es ihm so, wie Masterchen es ausdrückte: „Ich habe keine Lust, mit Leuten zu arbeiten, die neurotischer sind als ich.“ – Deswegen arbeitet er mit uns munteren Buch- und KnipsiFeen zusammen!
Der Psychologie nicht völlig untreu geworden, schipperte Ton mit deliquenten Jugendlichen und Sojamehl zwischen Rotterdam und Norfolk hin und her als Master der blauen Jungs, die bei den KüstenMädchen für erhebliche Aufregung sorgen. Ich kann Euch sagen, man sah vor lauter MädchenGedrängel die einlaufende Albatros gar nicht mehr. Selbst ich (die coole Siri – und Selma aber auch) war ganz flattrig angesichts der vielen feschen Kerle in blauen Hemden mit Halstuch. So soll es auch vor rund zweihundert Jahren gewesen sein, wenn Seeräuber und Schmuggler an dieser gesetzlosen Küste anlegten, las ich in einem SeeBuch auf Regalbrett 5. 1996 fand dies ein Ende, manches Mädchen weinte und Ton verliebte sich. Stellt Euch vor, der alternde Seebär heiratete eins der KüstenMädchen, das gut und gerne seine Tochter hätte sein können. Die Hochzeit war sooo rührend: Nach Seemannsbrauch schritt das Paar durch eine Gasse von Matrosen und Fischern, die ihre Ruder erhoben hatten, so dass sie ein schützendes SpitzDach über dem Paar bildeten. Heute hat das ungleiche Paar sooo süße Kinder, die an Bord herumkrabbeln wie frisch gefangene Krabben.

Der Master an Bord der Albatros, die süßen "Krabben" mampfen gerade Pfannkuchen unter Deck

Seit zehn Jahren liegt die Albatros in Wells next the Sea als Schiffsbistro am Kai, in dem es statt trockenem Schiffszwieback holländische Pfannkuchen gibt. Ich besuchte mit SelmaKnipsiFee Ton, da sie unbedingt FotoKnipsis machen wollte, während ich mit rotem FeenMund voller süßer Pfannekuchen Tons Geschichte der Albatros lauschte, das Schiff, dass doch eigentlich des Seemanns Braut ist.

Hier haben wir die Pfannekuchen zu uns genommen, sooo lecker.

Während des zweiten Weltkriegs gehörte die Albatros dem mutigen dänischen Kapitän Rasmussen, der Juden aus dem besetzten Dänemark ins neutrale Schweden brachte und mit Waffen für den dänischen Widerstand zurücksegelte. Rasmussen wurde nie geschnappt. 1987 kaufte von ihm der dunkelbärtige Ton die Albatros, einen zweimastigen Frachtsegler (eine 1899 gebaute Galliot), womit er sich einen Kindertraum erfüllte, um so der Midlife-Crisis ein Schnippchen zu schlagen. „Gut gemacht!“, gratulierte ich ihm, wohl wissend, dass unser Masterchen ihm im Stillen beneidet. Ob es Ton wie unserer lieben DinaFee ergangen ist, die nach mehrtägigem Auswetterns eines furiosen AtlantikSturms auf einem Segelschiff Seeabenteuer wie die Nixe das Feuer meidet? Milde lächelt sie über unseren Master, der bei wellenarmer See mit seiner Nussschale Circe Seeabenteuer fantasiert – so sind eben die Schreiberlinge … außer Mark Twain, Herman Melville, Joseph Conrad als gnadenloser Realist, Günther Buchheim ebenso realistisch und …

Die Albatros zur Winterzeit. Wenn ein wenig Eis und Schnee am Ufer liegt schmeckt die heiße Schokolade mit Baileys noch besser.

Liebe Grüße an Euch Landratten von SiriFee aus Cley next the Sea und von Selma BildFee auch

© Klausbernd Vollmar, Cley/Norfolk, 2011