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Schlagwort-Archive: Marcel Proust

Splendid Isolation

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I enjoy this splendid isolation. The lost time is found, not by seeking but by force. I feel more focused. I adjust to a relaxed way of gardening whilst listening to audio-books. My AirPods carry me off to the captivating World of Norwegian crime stories by Ingar Johnsrud, perfectly suited for gardening. In this new state, I scrutinise every corner searching for the various nasty weed. Times becomes irrelevant. I lavishly spend time on all and everything. Has the period of acceleration come to an end? I pause more often, look longer at whatever. I observe the birds collecting little twigs for their nests. They fly away careful not to reveal where their nests are situated. With free-floating attention, I think about this and that. I notice details scrutinising the lichen colonies. These round lichen on the old stones of our terrace make me remember the country where the lemons bloom. I notice I can only read Proust on this sunny terrace with a cold glass of Aperol Fizz in reach.
Before isolation, I couldn’t give into my meandering thoughts without feeling guilty. I didn’t allow myself spending time for this luxury. Looking back, I am getting aware of all the distraction produced by an un-isolated world. I begin to understand the attraction of closed communities like in monasteries. Hermann Hesse’s „The Glass Bead Game“ fascinated me when I was 17. I was mesmerized by this isolated province of scholars. Later it was the isolated morbid world of Thomas Mann’s „The Sacred Mountain“ which caught my interests.         
 

 

 

Die Isolation erfreut mich. Mein Leben ist konzentrierter geworden. Die verlorene Zeit wurde gefunden, nicht durch Suche sondern zwangsweise. Ich entdecke mit Muße zu gärtnern, wobei ich in die Welt der Hörbücher versinke. Die AirPods entfühen mich in die Welt norwegischer Krimis von Ingar Johnsrud, die sich zum Gärtnern eignen. Ich nehme genauer die verschieden bösen Unkräuter wahr, insgesamt nehme ich mir mehr Zeit für alles. Sollte die Zeit der Beschleunigung ihr Ende erreicht haben? Ich halte öfters länger inne, betrachte etwas, beobachte wie die Vögel Stöckchen für ihren Nestbau sammeln und diese so abtransportieren, dass ich ja nicht ihr Nest sehe. Mit freischwebender Aufmerksamkeit denke über dies und das nach. Details fallen mir auf, z.B. wie die Flechten unsere Terrasse als Wohnort lieben, als Kolonie oder größere Einzelflechten. Immer kreisrund. Sie verbreiten auf dem Stein einen Hauch der Erinnerungen an das Land, in dem die Zitronen blühen. Mir fällt auf, dass ich Marcel Proust nur auf dieser besonnten Terrasse mit einem kühlen Aperol Fizz in Reichweite genießen kann.
Vor der Isolation konnte ich mich nie ohne schlechtes Gewissen auf meine Gedankensprünge einlassen; für solchen Luxus meinte ich keine Zeit zu haben. Im Nachhinein bemerke ich, wie viel Ablenkung eine un-isolierte Welt schafft. Das lässt mich noch besser klösterliche Gemeinschaften verstehen. Bereits mit 17 faszinierte mich Hermann Hesses „Glasperlenspiel„. Mich zog diese isolierte Welt an. Später hat mich die morbiden abgeschlossenen Welt von Thomas Manns „Zauberberg“ begeistert. Die jetzige Isolation habe ich bislang nur als als Stoff, aus dem Romane sind, betrachtet.

Suddenly our World became unphysical. Isolation means a minimum of body contacts now. There were trends in the Theosophical Society believing that mankind is meant to become Spirit, meaning we have to overcome our physical being. A favourite idea of all monotheistic religions. If we spin this tread a little further we are in the here and now with its radical reduction of the physical contact. Seen without any distorting romantic feelings, this change from reality to virtuality is a new way of life. Could that be one step towards the aim of mankind as the Theosophists would see it?

Unsere Welt ist köperloser geworden. Isolation bedeutet gerade ein Minimum körperlichen Kontakts. Gab es nicht Richtungen in der Theosophie, die vertraten, dass die Menschheit sich zur Vergeistigung hin entwickeln solle? Die Körperüberwindung war damit angesprochen, ein Steckenpferd aller monotheistischer Religionen. Spinnen wir den Gedanken weiter, ist es genau das, was wir zur Zeit erleben, die Reduzierung unserer Körperlichkeit. Ohne romantische Vernebelung betrachtet, ist diese Art des Wandels vom Realen zum Virtuellen ein neue, umweltfreundliche Lebensart, die einige esoterische Kreise als notwendigen Schritt aufs Ziel der Menschheit hin sehen würden.

For many of my generation, this change from direct contact to virtual un-physical contacts is the devil’s work. Freud told us, fear makes us demonize the new. Now we have to learn to express our emotional and spiritual feelings in a chat-format. I can well imagine that we will learn to communicate everything we need virtually. That’s one topic of Tad Williams brilliant novel „Otherland“. You outsource the living of your life to your Avatar, you are your Avatar. Is this that bad?
Our gardener’s teenage daughters are in constant virtual contact with their friends. That’s their form of communicating the feelings and intimacy they need – or seem to need? They practised virtual contacts long before the virus. For them, all this talk about isolation is „bullshit“ or „mind-fuck„. They don’t really understand what isolation means for others. They are these students who are happy about their closed schools and don’t mind having their lessons in the chatroom.       

Viele meiner Generation empfinden diesen Wandel vom gewohnten direkten Kontakten zu virtuell unkörperlichen Kontakten als Teufels Werk. Freud bedauerte schon, dass die Angst uns Neues verteufeln lässt. Freilich müssen wir noch lernen, unsere emotionalen und geistigen Bedürfnisse zoomgerecht zu formulieren. Gut kann ich mir vorstellen, dass wir Fähigkeiten entwickeln, intensiv und befriedigend virtuell zu kommunizieren, ein Thema, das in Tad Williams Roman „Otherland“ überzeugend wie spannend dargestellt wird. Man lebt durch seinen Avatar, man ist sein Avatar. Ist das so schlimm? 
Die Mädchen unseres Gärtners, zwei Teenys, sehe ich im ständigen Kontakt per phone und chat mit ihren Freundinnen. Das ist ihre Form der Nähe, die sie zu brauchen scheinen. Sie haben lange vor dem Virus sich in virtueller Kommunikation geübt. Für sie ist „das ganze Isolationsgequatsche“ nur „mind-fuck„. Ihre Welt ist weniger isoliert und dass sie nicht in die „blöde Schule“ müssen, ist ganz nach ihrem Geschmack. Gegen Schule als Chat haben sie grundsätzlich nichts einzuwenden, „wenn’s denn seien muss„.

The Dark Side now:
The virus is reaching a small idyllic village. What happens? First people stand together. A local dies. A pre-militant movement against the incoming „The Londoners“ is formed. For some, this movement against the aliens produces strange feelings but at the same time, they share the opinions of the self-appointed sheriffs that those strangers brought the virus with them. Therefore strict isolation of their village would make sense. Happy End: the protagonist discovers his inner fascist.
Could that be a novel by Stephen King or a text like Golding’s „Lord of the Flies„?
Friedrich Engels surely would have noticed how isolation make class differences more obvious. I notice, tougher behaviour shows less inhibited but at the same time friendliness is spreading. What was isolated before shows clearly now. 

Nun zur Dark Side:
Der Virus erreicht ein kleines idyllisches Dorf. Was geschieht? Zuerst ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Dann stirbt ein Einheimischer, darauf entsteht eine `vor-militante´ Bewegung gegen die `Londoner´. Bei einigen weckt das ungute Erinnerungen an Zusammenrottungen gegen `die Anderen´, die Unzugehörigen, auf der anderen Seite teilen sie diese Ansichten der selbsternannte Blockwarte. Die von außen brachten den Virus, strengere Isolation des Dorfes wäre sinnvoll. Happy End: Der Protagonist erkennt den Faschisten in sich. – Das wäre für einen Roman a la Stephen King geeignet oder sollte es eher Goldings „Herr der Fliegen“ ähneln?
Friedrich Engels hätte sicherlich bemerkt, dass die Isolation Klassengegensätze deutlicher zu Tage treten lässt. Ich beobachte, dass sich raueres Verhalten ungehemmter zeigt, aber auch zugleich eine zunehmende Freundlichkeit sich verbreitet. Was vorher isoliert war, läßt die Isolation deutlicher zu Tage treten.

Wishing you an easy handling of your isolation.
Stay well and away from others
Dann wünsche ich einen so weit wie möglich entspannten Umgang mt der Isolation.
Bleibt gesund und dem Anderen fern

Klausbernd

 

 

© Text and illustrations, Hanne Siebers and Klausbernd Vollmar, Cley next the Sea, 2020

On Luck

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Siri + Selma

Siri + Selma

Wir Buchfeen trauten unseren Augen kaum, da bekamen wir, gerade aus dem Urlaub zurück, eine Einladung zum Glückscoaching. Das weiß doch jeder, Buchfeen sind glückliche Wesen zurückgehend auf den ehrenwerten Stamm der Glücksfeen! Wir bezweifeln kichernd, dass ein Glückscoaching die Menschen glücklich machen kann, selbst den Coach nicht, der sich niedlich verbissen um ein glückliches Aussehen auf seinem Foto bemüht. Je mehr du dich ums Glück bemühst, je weiter entfleucht es, habt ihr das nicht auch schon bemerkt? Wenn du dich bemühst, glücklich zu sein, verschwindet das Glück wie der Rauch im Wind, das erkannte bereits im 19. Jh. der englische Volkswirtschaftler John Stuart Mill.

We Bookfayries hardly believed our eyes, we just returned from our holiday as we received an invitation to a coaching for becoming a lucky and happy person. We thought everyone would know that Bookfayries are happy beings who are related with these fairies of luck. We doubt it giggeling that such a coaching brings luck and happiness to the participants – not even to the coach who was trying so hard to look happy on his picture. The more you try to become a lucky person the farther any luck runs away from you – have you noticed this too? If you try to be a lucky person you chase the luck away, this recognized John Stuart Mill in the 19th c. already.

Glück_collage

Unser Master zeigte uns etwas ganz Verblüffendes, als wir mit ihm im Pub vorhin beim Pint über das Glück sprachen, nämlich eine Glücksformel
G = V + L + W (Glück ist Vererbung plus Lebensumstände plus Wille)
Selma hätte fast ihr warmes Bier ganz unfein über den Tresen geprustet.

As we talked to our Master in the pub to a pint of real ale he showed us something utterly amazing: a formular for luck
L = H + S +W (Luck is heredity plus your situation in life plus willpower)
Selma snorted and nearly blew her mouthful of the warm beer over the bar.

wolframZu Hause zurück beschwingt vom Bier, und Masterchen hatte auch einen doppelten Whisky dazu genossen, haben wir in „alten buochen“, seiner mittelalterlichen Literatur, nach einem Glücksrezept gesucht. Bei Wolfram von Eschenbachs „Willehalm“ sind wir fündig geworden:

Küsse keck das holde Weib und drück es fest an deinen Leib.
Denn das gibt Glück und hohen Mut, so fern sie züchtig ist und gut.

Das sagte uns schon eher zu, „mehr down to earth“ wie Selma meinte, wenn wir jedoch das mit der Züchtigkeit augenzwinkernd in Frage stellten.

Back home a little tipsy from the pints – and Masterchen even drank a double whisky as well – we were searching the medieval books of our Master for recipe for becoming a happy and lucky person. We found this verse in the epic „Willehalm“ by Wolfram von Eschenbach (German poet, 13th c.):

Kiss brave the graceful lady, hold her tight to your body.
So you are getting luck and happiness as long as she shows chastity and is good.

This idea we liked much more. „More down to earth“ as Selma said with a blink, „if we forget about the chastity.

Siri kam dann mit Dostojewski und gerade in „Die Dämonen“ fand sie mit Buchfeenlist ein Zitat, dem wir voll zustimmen konnten:

Alles ist gut. Alles. Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, dass er glücklich ist. Nur deshalb. Das ist alles, alles! Wer das erkennt, der wird gleich glücklich sein, sofort, im selben Augenblick.

Masterchen holte noch das dicke Buch von diesem amerikanischen Kreativitätsforscher mit dem unaussprechlichen Namen, diesem Herrn Schick oder so (Mihaly Csikszentmihalyi heißt er richtig, Siri hat`s nachgeschaut), also dieser Forscher, der den Begriff des Flow geprägt hat. Er meint, da können wir ihn nur recht geben, wenn du völlig versunken mit roten Bäckchen und Glitzeraugen etwas tust, dann stellt  sich das Glück ein.

Siri found in Dostoyevsky`s novel „Demons“ (1872) with her Bookfayrie wisdom a quote we could fully agree to:

Everything is fine. People are unhappy because they do not know that they are happy. That is the only reason, that is all, nothing more! Who sees this will become happy, immediately.

Our Master fetched that big volume from this American scientist with the unpronounable name Mr Czik or so (his real name is Mihaly Csikszentmihalyi actually, Siri looked it up), that is the one who coined the phrase „Flow“. He writes if you become like a child immersed in something with a reddish face and sparkling eyes then you experience luck and happiness. We agree to this as well.

Glück_coll2

Viele haben über das Glück geschrieben wie Bertrand Russel (Eroberung des Glücks), Arthur Schopenhauer (Die Kunst, glücklich zu sein) stellte 50 Regeln fürs Glücklichsein auf, natürlich dürfen Goethe und der Dalai Lama nicht fehlen. In den USA scheint man unglücklicher zu sein, weswegen es dort im Ggs. zu Europa von Glücksforschern nur so wimmelt (Ed Diener, David T. Lykken und David Myers, um nur einige zu nennen). – Kennt ihr unseren Freund Hector (aus dem Roman von F. Lelord)? Er begab sich auch auf der Suche nach dem Glück.

Many did write about luck like Bertrand Russel, Arthur Schopenhauer even gave his readers 50 rules for becoming a lucky and happy person, and of course Goethe and the Dalai Lama thought about luck as well. In the USA people seem to be quite unhappy because there you find masses of „scientist“ researching about luck (not so in good old Europe) like Ed Diener, David T. Lykken and David Myers to mention some of the most decent ones only. – Do you know our friend Hector (from the novel by F. Lelord)? He was searching for luck too.


Kurzum, wir Buchfeen glauben, je weniger man sich um das Glück bemüht, je weniger man selbstbezogen ist und immer nur ICH, ICH, ICH im Kopf hat, je mehr man sich auf das Wesentliche beschränkt, desto schneller stellt sich oft unbemerkt das Glück ein. Aber wie bemerkte bereits der kluge Marcel Proust:

Glück ist gut für den Körper, aber Kummer stärkt den Geist.

Stimmt das für die Menschen, fragten wir Buchfeen uns, oder ist das nur so ein neoromantischer Spruch vom Kult des leidenden Genies geprägt, wie Proust eins war?

To cut a long story short, we Bookfayries believe the less you try to be lucky and happy, the less you are egocentric only thinking I, I and I again, the more you constrict yourself to the essentials the more likely you become – quite often unaware of it – lucky and happy. The clever Marcel Proust found out:

Luck is good for the body but sorrow strengthens the mind.

Does that apply to humans, did we Bookfayries asked ourselves, or is that a neo-romantic idea coined by the cult of the suffering genius (like Marcel Proust)? 

Ihr kennt sicher das Märchen vom Hans im Glück, dieser Bursche, der nach Verlust all seines Besitzes sein Glück findet. Fast könnte man denken, der biedere Hans hätte Erich Fromm gelesen. Aber ein wenig regressiv ist dieses Märchen schon, das höchste Glück besteht für Hans darin, zu seiner Mutter zurückzukehren. Well …

Und zum Schluss noch ein Zitat des des ironischen Aufklärers Voltaire:

Es ist komisch, dass kein Mensch mit Esprit ein Glück möchte, das auf Dummheit gegründet ist, und doch ist es klar, dass man dabei einen guten Tausch machen würde.

You surely came across the fairytale of „Hans in Luck“ (Grimm brothers, collection of 1812). In Northumberland there exist a similar tale of  „The Hedley Kow“, like Hans the character persuades herself that every change is a proof of her luck until she owns nothing anymore. Hans looses everything and one could imagine he had read Erich Fromm because that makes him happy. But we find his fairytale a bit too regressive because his highest luck is returning back to his mother.

Last not least a quote of the proponent of Enlightenment Voltaire

It is funny that no person with esprit wants luck which is based on foolishness although that would be a good barter.

Und nun sind wir einfach glücklich mit unserer Dina und unserem Masterchen ohne Wenns und Aber und die Ratgeber zum Glücklichsein benutzen wir zum Feuermachen, denn ein schönes Feuer im Kamin ist ein großes Glück.
Wir sind sooo neugierig, von euch zu lesen, was ihr über das Glück denkt. Bitte, bitte verratet es uns.

And now we are just happy with Dina and our Master without any doubts and we use the guidebooks for luck for lighting the fire because a nice roaring open fire is luck.
We are very, very curious what do you think about luck. Please, be so kind to let us know.

DON´T WORRY, BE HAPPY
mit lieben Grüßen eure Buchfeen Siri und Selma
with love and fairydust from your Bookfayries Siri and Selma

We thank  Dina very much for her collages. This picture of the knight shows „herre Wolfram“ (Wolfram von Eschenbach) as he is shown in the Manesse Manuscript (Codex Manesse, a collection of the songs of the ministrels), an illuminated manuscript from the early 14th c. that our Master loves very much.

Buchtalk, Die souveräne Leserin von Alan Bennett

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Buchtalk, Die souveräne Leserin von Alan Bennett

Als mich Dina vorige Woche nach meinen fünf Lieblingsbüchern fragte, also nach jenen Büchern, die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde, habe ich erschrocken (nur fünf Bücher – das ist ja Folter!) wie spontan drei amerikanische Autoren (Paul Auster, John Irving, Tad Williams), einen englischen Autor (Douglas Adams, den ich versehentlich lange Zeit auch für einen Amerikaner hielt, da ich solche verrückte Sci-Fi-Geschichte wie „Per Anhalter durch die Galaxis“ nur einem Amerikaner zutraute) und einen Österreicher (Ransmayr, den Meister des Stils) genannt. Das spiegelt ganz und gar nicht meine Lesegewohnheiten wider. Seit über dreißig Jahren in England lebend, lese ich meist englische Autoren. Die bekomme ich durch unsere ehrwürdige Kirche an der Dorfwiese, in der, obwohl zur Touristenattraktion verkommen, ein reger Buchaustausch herrscht – und das völlig unzeniert. Ja, selbst anregender Softporn (kennen Sie z.B. Carl Timlichs „Priaps Schule der Lüste“ – zum Schreien! – fand ich in deutsch dort) liegt neben Richard Dawkins Buch über den Gotteswahn. Mein neuster Fund stammt von dem englischen Star-Autor, dem Metzgers Sohn Alan Bennett, der sich u.a. mit Kafka und Proust auseinandersetzte. „Die souveräne Leserin“ ist eine Art Kurzroman (quasi das Gegenteil zu Proust ewiglanger Suche nach der verlorenen Zeit), der treffend in die englische upper-class einführt. Über Bücher erfährt man zwar weniger, obwohl ich in Sandringham (the Queen`s Cottage, dem Privatschloss der Königin) gefüllte Buchregale sah (mit vielen längst vergessenen Schmökern).
Ich habe beim Lesen von „Die souveräne Leserin“ so lachen müssen, dass ich immer wieder innehalten musste, derart genau beobachtet beschreibt Bennett wie es in gewissen Kreisen hier so zugeht. Würden einem nicht immer die Augen tränen vor Lachen, könnte man das Buch in zwei bis drei höchst vergnüglichen Stunden lesen. Und zum Schluss verrate ich nur noch eins: Es geht darum, wie die Queen zum Lesen kommt, denn immerhin gilt Lesen als Müßiggang, den sich eine vorbildliche Königin des pragmatischen Englands nicht leisten darf – oder doch?

Grüße aus dem „Literary Norfolk“
Klausbernd Vollmar

Buchtalk: Knut Hamsun

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Buchtalk: Knut Hamsun

Zu Hamsuns 60. Todestag am 19. Februar

„Einen Dank für die einsame Nacht, für die Berge, für das Rauschen der Finsternis und des Meeres, es rauscht durch mein Herz! Einen Dank für mein Leben, für meinen Atemzug, für die Gnade, heute Nacht leben zu dürfen, dafür danke ich von Herzen! Lausche nach Osten und lausche nach Westen, nein, lausche! Es ist der ewige Gott! Diese Stille, die gegen mein Ohr murmelt, ist das siedende Blut der Allnatur, Gott, der die Erde und mich durchwebt.“
Knut Hamsun, Pan

Knut Hamsun. Freundliche Leihgabe von Kirsten H. Rasmussen

Also, Ihr Lieben, heute Nacht war was los bei uns. Da hat doch unser Master völlig troddelig die Bücher Hamsuns zwischen Henrik Ibsen und Sigrid Undset ins Regal gestellt. An Schlaf war nicht zu denken, große Randale auf Regalbrett 3 Nord. Ich sage Euch, dieser störrische Hamsun ist wirklich ein Störenfried, ein grumpy old man, wie wir hier sagen. Ich glaube, Ibsen war ihm zu modern. Bei Ibsen war Nora vom Geist der Befreiung beseelt, während für Hamsun die Frauen unerreichbare, hehre Wesen waren. Naja, vielleicht war es einfach Neid, denn Ibsen war damals sooo viel bekannter als er. Dennoch sollte Ibsen – ich finde das völlig unberechtigt! – nie den Literaturnobelpreis erhalten, den Hamsun als zweiter Norweger im Jahre 1920 zugesprochen bekam – nach Bjørnstjerne Bjørnson, für dessen Bauernerzählungen er schwärmte. In seinem Werk „Mysterien“ bringt Hamsun wie in der mittelalterlichen Dichtung üblich einen Dichterkatalog, bei dem Ibsen zusammen mit Tolstoi und Maupassant schlecht wegkommen, wobei Bjørnson und de Musset sehr gelobt werden. Ja, Hamsun konnte Ibsen partout nicht leiden, was er laut herausposaunte und seine Beliebtheit nicht gerade steigerte. Hamsun war schon ein eigensinniger Querkopf.
Zur dritten norwegischen Nobelpreisträgerin Sigrid Undset verhielt sich Hamsun wie Feuer zu Wasser. Während Hamsun nicht nur auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an von Ossietzky (1935) mit massiver Kritik reagierte und die Einrichtung von Konzentrationslagern rechtfertigte (Ossietzky befand sich im KZ Esterwegen) und 1943 Hitler und Göbbels in Deutschland besuchte, hat Sigrid Undset das besetzte Norwegen als Unterstützerin des norwegischen Widerstands verlassen müssen. Hamsun wurde im besetzten Norwegen als Dichter Nummer eins hoch gelobt, er war neben Karl May einer der Lieblingsschriftsteller von Hitler, der „Segen der Erde“ als Blut-und-Boden-Literatur goutierte. Allerdings sollte sich das nach dem Krieg drastisch ändern. In seinem Eigensinn schrieb Hamsun noch einen Nachruf auf Hitler und dann ging`s bergab mit ihm. Er wurde nach dem Krieg als Landesverräter verhaftet, zu einer ruinösen Geldstrafe verurteilt und eine Zeitlang in die Psychiatrie eingewiesen, worauf er 1949 in „Auf überwachsenen Pfaden“ eingeht und reuelos seine Haltung rechtfertigte. Erst zu Hamsuns 150. Geburtstag 2009 schlossen die Norweger offiziell mit ihm Frieden, indem die Königin die feine Unterscheidung zwischen Hamsun als Autor und als Person machte. Und wir beide Feen müssen zugeben, dass wir in Hamsuns Romanen keine faschistischen Stellen gefunden haben – wirklich nicht! Als Sigrid Undset gleich nach dem Krieg nach Norwegen zurückkehrte, wurde sie hoch gelobt und ausgezeichnet, Hamsuns Werke dagegen wurden von einigen Norwegern vernichtet, wie es Lars Saabye Christensen in seinem Roman „Der Halbbruder“ beschreibt: „Der Autor war während des Krieges ein Lümmel. Deshalb haben wir seine Gesammelte Werke hier im Kaminofen verbrannt.“

„Jetzt hast du dich über Hamsuns politische Einstellung mokiert, aber wo bleibt der Dichter Hamsun?“, kritisiert mich Selma. „Naja, der Hamsun ist einer, der mehr gelobt als gelesen wird“, rechtfertige ich mich, die mit Hamsun ihre Schwierigkeiten hat. Ehrlich gesagt, finde ich Hamsun langweilig. Klar, das weiß ich doch als BuchFee, hat Thomas Mann Hamsun hoch gelobt. Er bezeichnete ihn als den würdigsten Nobelpreisträger und sicher hat dieser norwegische Querkopf moderne Techniken des Romans wie den inneren Monolog und die erlebte Rede vorbereitet, auf ihn konnten Joyce und Proust aufbauen und selbst zeitgenössische norwegische Autoren wie Saabye Christensen und (Masters verehrter) Jan Kjærstad beziehen sich Hamsun, wie auch Ernest Hemingway, Hermann Hesse, H.G. Wells, Henry Miller, Bert Brecht und Robert Musil. Dennoch fand ich Hamsun einschläfernd. Er wird ja wegen seiner Landschaftsbeschreibungen und Naturmystik gelobt, ich fand jedoch außer in „Pan“ und „Die Schwärmer“ nicht viel davon. Nach all der Hamsun-Leserei griff ich abends im gemütlichen Kuschelbettchen zu Georg Engels Roman „Zauberin Circe“. Im Gegensatz zu Hamsun ist sein Zeitgenosse, der Bestsellerautor Engel, heute völlig vergessen, aber wer Naturschwärmereien liebt, der sollte lieber zu Engel als zu Hamsun greifen.

Unser Master sprach ganz verwirrt von „Hamundsen“ als wir gemeinsam die alte Hamsun-Ausgabe auf der Suche nach Naturmystik durchblätterten, als ob Amundsen und Hamsun etwas gemeinsam hätten – oder doch? Wie dem auch sei, naturmystische Schilderungen fanden wir in „Pan“ und „Die Schwärmer“ (dort nur in winzigen Abschnitten), ein Loblied auf die Erde und das bäuerliche Leben in „Segen der Erde“, das Masterchen, Dina und ich als seinen lesenswertesten Roman fanden. Dies war der einzige Roman Hamsuns, bei dem ich wissen wollte, wie er ausgeht. Große Schwierigkeiten hatte ich, „Mysterien“ zu lesen, einen Roman bei dem ich bis heute nicht verstanden habe, warum Hamsun – für mich völlig unmotiviert – ständig zwischen Präteritum und Präsenz wechselt. Oder sollte das an den schlechten Übersetzungen liegen, angesichts derer unsere liebe zweisprachige Dina sich die Haare raufte.
Sicherlich waren Hamsuns psychologische Überlegungen damals acht Jahre vor Freuds Erscheinen der „Traumdeutung“ neu, heute wirken sie jedoch wie abgestanden Altbekanntes. Das Skurrile und Fantastische der Geschichte hätte selbst ich besser verdichten können. Diese überzogene Liebesgeschichte war ja fast so exaltiert wie Goethes Bestseller „Die Leiden des jungen Werther“, der heute nicht ohne Lachkrämpfe zu lesen ist. Dennoch schuf Hamsun mit Nagel, dem wundersamen Exzentriker und Hysteriker in „Mysterien“ einen postmodernen Helden, wie auch in jenem erfolglosen, ja lächerlichen Schreiberling in „Hunger“. Der Versager als Held, das hört sich nach einem Nihilismus á la Nietzsche an, meint Masterchen – oder sollte sich dahinter Hamsuns panische Angst vor dem Alter verbergen?
In „Viktoria“ werden Liebe und Sexualität als Naturmächte, denen der Mensch ausgeliefert ist, überhöht. Und immer schreibt Hamsun gegen die böse Großstadt und den Fortschritt an, auch ein Thema in „Hunger“, der Roman, der seinen Weltruhm begründete, unter anderem deswegen, da er auf den damals üblichen vermittelnden Erzähler verzichtete und eindringlich aus der Ich-Perspektive erzählt. Man kann dieses Buch nicht weglegen oder schmeißt es nach den ersten drei Seiten ins Feuer, schrieb treffend ein Rezensent.
Mich hat es ja fast von meinem Regal geworfen, als ich „August Weltumsegler“ las, die Geschichte eines Spekulanten, die sich fast wie eine Vorausschau der heutigen Finanzkrise liest. Dort unterstrich ich dick: „Der Mensch will höher fliegen, als ihm die Flügel dazu gewachsen sind. Da fällt er herunter.“

„Wenn wir dann eine Zeitlang gewandert sind, dann wandern wir noch eine Weile; wir wandern einen Tag, darauf eine Nacht, und endlich in der Dämmerung des nächsten Tages ist die Stunde gekommen, und wir werden getötet, in Ernst und Güte getötet. Das ist der Roman des Lebens mit dem Tod als letztem Kapitel. Das ist alles so mystisch.“ (Knut Hamsun, Das letzte Kapitel) Hamsun starb vor 60 Jahren auf seinem Gut Nørholm bei Grimstad.

Meine Schwester Selma pocht darauf zu erwähnen, dass es noch heute glühende Hamsun-Fans gibt. Wer sich für „Hamsunika“ interessiert, der schaue sich mal diese österreichische Seite an.

Grüße vom Master und meiner Schwester Selma
Eure Siri BuchFee

Siris Lieblingszitate, Marcel Proust

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Siris Lieblingszitate, Marcel Proust

In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte erschauen können.

Das fand ich im letzten dieser grauen Bände von Marcel Prousts fiktiver Autobiografie „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit„, die André Gide als Verlagslektor ablehnte, was er jedoch als seinen größten Fehler bezeichnete, nachdem Prousts Werk von dem deutschen Romanisten Ernst Robert Curtius entdeckt wurde.

Liebe Grüße
Siri BuchFee