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Erdbeeren – die rote Verführung

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Foto: Hanne Siebers

Die rote Frucht so süß und rund gehört eindeutig in meinen Mund …

Masterchen, noch den Rest seines geliebten Quarkbrots kauend, eilt wütend zu meinen Erdbeeren, ehe die gierigen Vögel alle verzehren. Diese listigen Abkömmlinge der Saurier hüpfen doch glatt unter unsere kunstvoll angelegten Netze. Ein Skandal und das so früh am Sonntagmorgen! Die blöden Vögel sollten doch die gefräßigen Schnecken weckpicken und nicht die rot lockenden Früchte!

Masterchen erläuterte vorher, während er sein Quarkbrot mit einer würzigen Mischung aus meinem Kräutergarten garnierte, dass die roten Früchten als Symbol der Lust und der Verführung zur Sünde galten. Siri und ich finden dieses Thema äußerst reizvoll, doch Masterchen verweilte bei diesem Volksglauben, der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verbreitet war, viel zu kurz. Er wandte sich glitzernden Auges gleich seinem Steckenpferd der Kunstgeschichte zu. „Wusstet ihr beiden, dass die Erdbeere neben dem Veilchen und Gänseblümchen zu den beliebtesten Motiven der mittelalterlichen Malerei zählt? Meist“, fuhr er nach einem Schluck seines abgekühlten Milchkaffees fort, „liegen Erdbeeren zu Füßen Marias oder eines dieser Heiligen.“
Meine schlaue Schwester Siri versuchte sogleich, vielleicht etwas zu flattrig, Masterchen wieder auf das spannende Thema der Sünde zurückzuführen. Mit entwaffnender Unschuld und großen blauen Augen hinter langen Feenwimpern fragte sie: „Ich las in einem deiner dicken Bücher, Masterchen, dass die Erdbeere im „Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch so gedeutet wird, dass die Menschen, die diese verzehren, sich in Bestien verwandeln. Was machen eigentlich Bestien?“

Und jetzt schweigt Masterchen verblüfft, stopft den Rest seines Quarkbrots in den Mund und rennt nicht gerade anmutig in den Garten, die Amseln und Drosseln zu verscheuchen. Er gibt eine wirklich gute Vogelscheuche ab – sorry, Master! Ich fliege ihm flattrig nach. Da habe ich doch meine geliebten, von meinen Fayrietalern selbst gekauften Erdbeerpflänzchen letztes Jahr im August eingepflanzt, sie gewässert und mit Brennnesseljauche gedüngt, im Frühjahr das Stroh unter den Pflanzen ausgelegt, was eine fiddelige Arbeit war, hab mit ihnen täglich in zarter Feensprache gesprochen und nun kommen diese gierigen Vögel.

Während ich noch durch den Wintergarten schwebe, ruft mir meine Schwester Siri aufgeregt hinterher: „Eigentlich ist die Symbolik der Erdbeere gar nicht so durchweg erotisch, wie der Master sagte. Dieses Christenvolk, das uns Feen in die Märchenbücher verbannte, sieht die Erdbeeren als Symbol für die Heiligen Drei Könige, die ihre Köpfe vor einem altklugen Baby beugen. Naja, das ist schon weit hergeholt, für verstiegener halte ich jedoch die Ansicht, dass die Erdbeerblüte diesen Jesus symbolisieren soll – naja, vieles kann Jesus symbolisieren … Als unschuldig weiß und zart würde ich den allerdings nicht sehen.“
Atemlos fährt mein Schwesterlein uns folgend fort, obwohl ich darauf brenne, mit Masterchen endlich meine Lieblingsfeenspeise zu ernten und mehr noch, meinen zarten Feenmund mit dieser saftigsüßen Frucht zu füllen. So leihe ich ihr nur mein halbes Feenohr, aus schwesterlicher Solidarität sozusagen. „Der Ovid auf Regalbrett fünf berichtet in seinen „Metamorphosen“, dass Erdbeeren die Speisen der Menschen irgendeines Goldenen Zeitalters waren, was in der Renaissance zur Speise im Paradies wurde. Böse wird die Erdbeere nach Ausgang des Mittelalters. Kennt ihr die berühmte Geschichte von Richard III., der dachte mit Erdbeeren vergiftet worden zu sein, als er nach dem Verzehr von ihnen einen Ausschlag bekam. Er ließ den Überbringer der Erdbeeren hinrichten.“

Wie kann ich mein belesenes, eifriges Schwesterlein bloß stoppen? Ich will Erdbeeren essen und zur leckeren Marmelade verarbeiten und nicht alles über die Erdbeeren wissen!
Ach, die armen Erdbeeren funken mir gerade SOS zu, der Boden ist feucht vom vielen Regen, ich muss dringend mehr Stroh besorgen und die vielen noch halbreifen Beeren neu betten. Siris Belehrung kann man nach der Erdbeerpflege und dem Erdbeergenuss ja noch nachholen – wenn`s unbedingt sein muss. Und vom Marmeladekochen weiß sie eh nichts, höchstens den Unterschied zwischen Jam, Jelly und Marmelade in der englischen Küche, ja, kennt ihr den? Unsere Besucher bekommen den Unterschied gebetsmühlenartig von meiner lieben Klugschwester vorgetragen, während sie ihr Eigenbrötler-Brot dick mit meiner Fayriekonfitüre bestreichen.

Siri, die kein Ohr für die Sprache meiner Beeren hat, fährt unbeirrt fort: „Ihr kennt wahrscheinlich nicht diesen Giraldi Cinzio, einen italienischen Professor der Beredsamkeit, aus dessen Werk sich Shakespeare schamlos bediente.“
Blöde Kuh, denke ich, die Masterchen durch Namedropping beeindrucken will!
„Dieser Cinzio lässt in seiner Novellensammlung „Hecatomithi“ Jago das Taschentuch der Desdemona stehlen, das mit Erdbeeren bestickt ist, um sie der Untreue zu überführen.“

Eh mein Schwesterlein, wie ich sie kenne, noch die naseweisen Autoren alter Kräuterbücher aufführt, die der Erdbeere Heilwirkung zusprachen wie Jacob Theodor im 16. Jahrhundert und sein Zeitgenosse Leonhard Fuchs und dagegen Hildegard von Bingens Einstellung stellt, welche die Erdbeere zu den Küchengiften zählte, da sie verschleimt, muss ich jetzt meinen armen Erdbeeren helfen und zwar sofort! Ich flattere ins Beet zum Master. Der rutscht gerade demütig auf seinen Knien herum, um die reifen Früchte vom Stroh zu befreien, auf dem sie aufliegen. Stroh ist gut gegen Verfaulen und es hält auch diese schleimigen Schnecken ab und gab dazu noch im Englischen der Frucht ihren Namen Strawberry.

Foto: Hanne Siebers

Als der rotklebrig süße Saft aus meinem Mund rinnt, schwärmt Masterchen beim Pflücken ganz versonnen für Ingmar Bergmans alten Film „Wilde Erdbeeren“, was Siri endlich verstummen lässt. „Der deutsche Titel“, erklärt er eine dicke Beere betrachtend, „ist nicht so beziehungsreich wie der schwedische Originaltitel. „Smultronställe“, was zwar wörtlich „der Platz der wilden Erdbeeren“ bedeutet, wird im modernen Schwedisch fast nur im übertragenen Sinn als der persönliche Ort, der locus amoenus als etwas ganz Besonderes, benutzt. Für uns als Kinder im ländlichen Schweden, war die Smultronställe unser geheimer Ort, den kein anderer betreten durfte.“
„Mein Erdbeerbeet ist also meine Smultronställe, obwohl“, fällt mir ein, „es ja keine wilden Erdbeeren sind.“
„Niemals!“, ruft meine Schwester laut. „Erstens sind Smultron keine Erbeeren, und zweitens beschreibt Smultronställe einen Platz, der schwer auffindbar ist, wie unser geheime Insel im Meer, draußen bei den Seehunden.“

 „Sagt mal, meine bestgeliebten Buchfeen,“ schlägt Masterchen vor, „wollen wir uns nicht heute Abend diesen teils surrealen Film über das Leben und die Traumwelten des Egoisten Isak Borg ansehen?“
Immer noch den Mund voll, nicke ich nur und betrachte die lustigen Erdbeerenfayries, die Masterchen schwach nur wahrnimmt und für die Buchfee Siri, mein Schwesterherz, blind ist – nicht ganz, sie kennt die Abbildungen dieser Feen aus ihrem Fayrielexikon.

Liebe Grüße vom kleinen Dorf am großen Meer aus meinem Erdbeerbeet von Selma, Buchfee 🙂

Meine Schwester SiriFee liest gerade abwesend, dass der schwedische Botaniker Linné fest davon überzeugt war, seine Gicht mit Erdbeeren kuriert zu haben. „Und“ murmelt sie vor sich hin, „dieser Wasser-Kneipp empfahl sogar den Aufguss von Erdbeerblättern“. Also ihr seht, sie ist heute zur Erdbeerforscherin geworden und gar nicht ansprechbar. Dennoch bin ich mir sicher, dass ich euch lieb von ihr grüßen soll.

Zum Welttag des Buches

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Zum Welttag des Buches

Umzingelt von Büchern wuchs ich auf, in meinen vor-alphabetischen Zeiten freilich als Schrecken für jedes Buch, dessen Seiten ich milder gestimmt bekritzelte, kühner aufgelegt herausriss. Obwohl ich halb erwachsen jahrelang die Psychoanalyse genoss und als Nach-Bildung zu verstehen lernte, waren es doch die Bücher, die mich veränderten und zu dem machten, der ich heute bin. Zwanghafter Buchfreak könnte man mich nennen, einer, der nervöse Zuckungen bekommt, Schweißausbrüche, wenn kein Buch in Griffnähe bereitliegt. Immerhin habe ich meine preußische Erziehung überwunden, nach der man ein angefangenes Buch bis zu seinem erlösenden Ende lesen muss, ein Syndrom, unter dem auch unsere Königin litt, wie Alan Bennett in „Die souveräne Leserin“ berichtet. Dieses Martyrium tu ich mir nicht mehr an. Ich lege Bücher weg, die nach Seite zwanzig immer noch zum Einschlafen verführen wie dieser englische Klassiker „Middlemarch“ von George Eliot oder die dicken Wälzer von Cowper-Powys. Aber wohin, mit den verworfenen Werken? Verschenken wäre boshaft, also spenden nach der Devise, dass kein Buch nicht einen begeisterten Leser findet. Obwohl Heide spende ich der Kirche, denn in den Kirchen der Küstendörfer Nord-Norfolks tauscht die wacker lesende Bevölkerung ihre für nicht regalwürdig befundenen Bücher aus.

Der Autor vor dem Antiquariat in Cley next the Sea, erschöpft vom Stöbern

An einer Buchhandlung vorbei zu gehen, ist eine Unmöglichkeit für mich und bei Einladungen schweift mein hemmungslos indiskreter Blick zum Bücherschrank der Gastgeber. Oh Schreck, ich lebe mehr in der Buchwelt als in jener Anderswelt, die mancher als real bezeichnet.

Analfixiert sammle ich Bücher, aber es gibt wohl mildernde Umstände, nämlich ich sammle nicht, um zu haben, sondern um zu lesen – für mich das Sein, von dem Erich Fromm spricht. Mein Schätze sind die wurmstichige englische Erstausgabe von Nansens „Farthest North“, Richard Wilhelms „I Ging“ in der Jugendstil-Erstauflage, eine hochedle, große wie schwere Ausgabe des „Kamasutra“ und Malinowskis Buch mit dem irreführenden Titel „Das Geschlechtsleben der Wilden“ (für ein Pfund auf einem englischen Flohmarkt entdeckt – in Deutsch!), von dem Freud und Jung einiges übernahmen. Dazu kommen noch einige Erstauflagen in erbarmungswürdigem Zustand der Diederichs Reihe „Märchen der Weltliteratur“. Zum Analfixierten, wie jeder seit Freuds Schriften weiß, gehört auch die Ordnung. Aber hallo, Bücher und Ordnung gehören zusammen wie Druckerschwärze und Papier. Wie oft habe ich schon meine Bibliothek geordnet. Und gerade kann ich mich gar nicht recht aufs Schreiben konzentrieren, da Dina und die Buchfee Selma Bücher nach den Farben – oh dear! – von überall aus den Regalen ziehen, um Fotos zu machen. Schande über sie, sie stellten nicht einmal einen Stellvertreter ein.

Obwohl ich am Inhalt der Bücher interessiert bin und obwohl mich die Bücher aus meinem Haus kafkaesk verdrängen, kann ich mich nicht an E-Books erfreuen, die eigentlich viel praktischer sind. Aber unter uns gesagt, das sind doch keine books – kein Rascheln des Papiers beim Umblättern der Seiten, nicht dieser Buchstaubgeruch. Wir stecken unsere Nase ins Buch, da nehmen wir einen Mix aus Papier, Tinte und Leim wahr, manchmal duften Bücher nach Herbst oder Schimmel, wenigen Büchern haftet ein Sommerduft an. Und das Allerneuste: Ein Berliner Parfümeur hat gerade das Parfüm „Paper Passion“ zum Betören jeder Leseratte kreiert, Karl Lagerfeld – auch ein Buchfreak – entwarf die Verpackung und Günter Grass steuert ein Gedicht bei.
E-Books weisen auch keine Gebrauchsspuren auf wie der fettige Fingerabdruck in Ecos „Der Friedhof in Prag“, der mich an Fahrt mit dem ICE nach Zürich erinnert, als ich selbst beim Essen dieses Buch nicht zur Seite legen konnte.

Ich wage es kaum zu bekennen, die griechisch-römischen Klassiker Aristophanes, Sallust, Lukrez und selbst Cicero und Cäsar (nicht Plato und erst recht nicht Ovids „Metamorphosen“) dienen mir als Buchstützen und teilweise gar als Unterbau für meine Regale, wohin ich auch Aristoteles verbannte. Die helle Leselampe steht auf einer dieser kastrierten Ausgaben von Melvilles „Moby Dick“ (die wenigsten Ausgaben sind vollständig) und auf Bram Stockers „Graf Dracula“ fürs Volk. Meine Wände sind längst alle voll verbucht, denn Bücher isolieren vorzüglich (besser als jeder Isolierschaum). – Kurzum, Sie sehen, ohne Bücher kann man gar nicht leben und elend nur überleben.

Noch gar nicht erwähnte ich all jene geduldigen Büchlein, in die ich schreibe: Mein Journal über die gelesenen Bücher, die ich lästerlich oder gnädig charakterisiere, mein Arbeitsjournal, das ich wie Bert Brecht als Ideenbuch führe und das allseits beliebte Tagebuch, Moleskin natürlich in der Tradition Hemingways. Und vielleicht führen Sie ja noch einige Bücher mehr. – Oh, Hilfe! Die Diktatur der Buchführung unseres Lebens ist ausgebrochen.

Well, da sitze ich in meinem Schaukelstuhl, draußen stolziert der Fasan mit seinen vier Weibchen vorbei, als ob ihm mein Garten gehöre und Siri und Selma, meine Buchfeen, beschimpfen mich als Stubenhocker. Sie flattern anmutig mit einem Transparent „Ehre dem Buch“, auf blauer Seide gelb gestickt, in unserem kleinen Dorf die Küstenstraße auf und ab. Ray, der weißgelockte Dorf-Antiquar, reicht ihnen eine Tasse heißen Tees heraus, in kleinen Schlucken trinkend regt sich Siri über den Titel des neusten Buchs von F.C. Delius auf „Als Bücher noch geholfen haben“ (seine Memoiren). „Tempusfehler!“ ruft sie erbost flügelflatternd. Ich überlege derweil, ob ich über das hochbrisante Thema des Bücherverleihens noch schreiben sollte oder genügt ein radikales „Niemals!“, da verliehene Bücher die Tendenz zeigen, beleidigt nicht mehr zurückzukommen.

Wer wissen möchte, welche Bücher seine Bibliothek zieren und Abende verschönern würden, der kann auf Dinas Blog Anregungen bekommen.

Einen frohen Buchtag wünscht
Klausbernd

Siris Lieblingszitate, Henrik Ibsen

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Siris Lieblingszitate, Henrik Ibsen

„Die Minderheit hat immer recht.“

Dieses Zitat hatte es auch Nansen angetan, nachdem er 1883 „Der Volksfeind“ gesehen hatte. Mit ihm wendet sich der Held des Stückes, Dr. Stockman, gegen die Diktatur der Masse – ja, ja, meinte Masterchen, wir sagten auch damals „Millionen Fliegen fressen Scheiße, haben sie deswegen recht?“ Well, well, so eine Ausdrucksweise gehört aber gar nicht für unseren elitären Master.

Mit herzlichem Gruß von
Siri Buchfee

Übrigens heute haben viele Autoren Geburtstag, wie mir Dina gerade sagte:

Ovid (20.03.43)
Hölderlin (20.03.1770)
Henrik Ibsen (20.03.1928)