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Buchtalk: Die Dina-Trilogie von Herbjørg Wassmo

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Buchtalk: Die Dina-Trilogie von Herbjørg Wassmo

Im schrulligen alten England pflegen wir Bücher zu lesen, durch wir uns mit viktorianischer Disziplin von Seite zu Seite quälen, um beim Dinner  ironisch über sie zu berichten. Gekämpf habe ich mit den fast 2000 Seiten der Dina-Trilogie nicht, die  – und das stimmt wirklich, ich schwöre – Dina (meine norwegische Freundin) vor einiger Zeit für meine Bibliothek nordischer Literatur spendete. Zu Unrecht wurde die norwegische Schriftstellerin Herbjørg Wassmo erst durch den Film „Dina – meine Geschichte“ (mit Maria Bonnevie und Gérard Depardieu) in Deutschland bekannt. In Skandinavien gilt sie seit Beginn der achtziger Jahre als eine der führenden Autorinnen, die mit Literaturpreisen überhäuft wurde.

Ihre Romane durchweht eine für die nordische Literatur übliche Schwermut. Sie stehen bei mir im Wohnzimmerregal – was einer Ehrung gleichkommt -zwischen Sigrid Undsets und Knut Hamsuns Werken, wo sich die drei dicken Taschenbücher rundum wohl fühlen. Wassmo ist fest in der Tradition der norwegischen Literatur verankert, verehrt aber auch Virginia Woolf. Ihre Hamsun-Verehrung ging so weit, jenen Hof zu kaufen, in dem der Dichter von 1911-1917 lebte.
Beim Lesen ihrer Werke hatte ich das Gefühl, dass die Autorin keine glückliche Person ist, und noch eins fiel mir auf, sie scheint an einer Fotophobie zu leiden. Es gibt ungewöhnlich wenig Bilder von ihr. Dina fand jedoch das Bild unten, auf dem die Wassmo wie ihre Romanheldin Dina wirkt.

Herbjørg Wassmo

Ich meide schwermütige Bücher, bei der Dina-Trilogie war es jedoch anders. Ich wurde sogleich in den Text hineingezogen, bis zum Morgengrauen las ich atemlos viel zu viele Nächte lang. Ja, Wassmo schreibt immer ausführlich und deswegen dicke Bücher, da sie sich wie Undset in eine Zeit hineindenkt (19. Jh. in diesen Fall), die sie im Detail beschreibt. Lange Romane ziehen mich an und ließen mich zur Wassmo greifen, da sie, wenn sie gut sind, den Zeitpunkt der Tristesse herauszögern, der unweigerlich nach der letzten Seite kommt, da nie sogleich Ebenbürtiges zur Hand ist.

Im Gegensatz z.B. zu Hamsuns „Hunger“ gibt es bei Dina zum Glück auch viele ausgelassen fröhliche Passagen speziell im ersten Band. Dina, die Heldin dieser zweiten Trilogie Wassmos, ist eine außergewöhnlich starke, gebildete und geschäftstüchtige Frau, die sich ihre Freiheiten nimmt und zugleich größte Angst vor dem Verlassenwerden zeigt, was bis zum Mord führt. Dina ist extrem, eine schillernde Verkörperung der Anima wie Rider Haggards „She“, gut und böse zugleich, furchtbar und fruchtbar. Das macht den Reiz ihres Charakters aus.
Dina lebt in einem Geflecht von Lüge und Verschweigen, es sind die berüchtigten „Leichen im Keller“, die wohl jede Familie kennt. Diese gefährlichen Familiengeheimnisse, die Wassmo auf Liebe und Schuld zurückführt, beschreibt sie derart treffend, dass mir sogleich einige der Geheimnisse meiner Familie klarer wurden, ich erkannte Situationen wieder, verstand. Das lag nicht zuletzt daran, dass Wassmo anschaulich wie sinnlich Situationen, die Natur und speziell Menschen beschreibt, wobei auffällt, dass das Riechen in allen drei Bänden eine wesentliche Rolle spielt. Für mich war das Lesen dieser Trilogie besser als Therapie, genau wie Marcel Proust es für „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ geltend machte, nämlich mit Hilfe des Romans tiefer in sich selbst blicken zu können.

Die Stärke der Autorin ist zugleich ihre Schwäche: Brillant finde ich die ausführlichen Schilderungen der pubertären Zwanghaftigkeiten und späteren Verwirrungen als Mann von Benjamin (Dinas Sohn). Jedoch der dritte Band der Trilogie „Dinas Vermächtnis“ hat Längen durch zu ausführliche Schilderungen von „Beziehungskram“, der die Geschichte nicht vorantreibt. Bei der Mitte des dritten Bands angelangt, hatte ich genug „Beziehungskram“ genossen – mein junger Freund Gerrit hätte von Tuss-Literatur gesprochen und die Dina-Romane als Frauenliteratur abgetan. Nach 1500 Seiten hatte ich das Strickmuster erkannt und weiß nicht so recht, wie er es finden soll, dass voraussehbar Dina ähnlich wie ihre Mutter stirbt, die sie versehentlich als Kind umgebracht hatte. Ist das ein Schönheitsfehler, jenes Ringen mit dem Romanschluss, bei dem so mancher Autor unterliegt? Es wirkt konstruiert auf mich, aber halt!, so entwerfe ich die Architektur meiner Romane doch auch. Und sei es auch eine Schwäche, bei Autoren-Promis wie Wassmo pflegen Kritiker Schwächen als Charakteristika zu bezeichen.

Stilistisch sind alle drei Romane nahezu perfekt (störend sind jedoch die vielen, teils sinnentstellenden Druckfehler in der Knaur-Taschenbuch-Ausgabe), die Metaphorik ist teilweise ungewöhnlich, aber immer treffend und beim Wechsel der Erzählperspektive, z.B. wenn im dritten Band Karna, Dinas Enkeltochter, denkt (viel ist im inneren Monolog geschrieben), wird der Leser von der Intensität kindlicher Weltsicht berührt – man merkt, dass H. Wassmo wie Selma Lagerlöf Lehrerin gewesen ist. Im Gegensatz zu der brillanten Wergeland-Trilogie ihres Landsmanns Jan Kjærstad ist die Dina-Trilogie leserfreundlich konservativ geschrieben, kein Hauch von Postmodern, ähnlich zeitgeistfrei wie Undsets Romane und ähnlich christlich geprägt.

Wie ihre Romanheldin Dina lebte Herbjørg Wassmo einige Zeit in Berlin, das immer wieder in ihren Romanen auftaucht.

Besonders den ersten Band der Trilogie „Das Buch Dina“ möchte ich jedem empfehlen – und nicht vergessen, er wurde sehr schön verfilmt. Davon berichtet mein Tagebucheintrag:

„… habe zum zweiten Mal ‚I AM DINA‘ gesehen, wow, große Gefühle und Dramen. Brillant gespielt und wunderbare Naturaufnahmen. Ich finde allerdings, der Film bringt die Story gefälliger. Aber das macht nichts, da er wunderschön gefilmt ist – bes. Personenbilder sind wie gute Portraitfotografie. Manchmal erinnert die Ästhetik der Bilderwelten an die Werbung bis hin zur ästhetischen Soft-Porn-Fotografie. Alles in allem ist das ein Film für die Sinne und speziell durch die Schnitttechnik eine Achterbahnfahrt durch die Gefühle. Ich habe auch zum zweiten Mal den Film mit großem Genuss gesehen

Zum Abschluss: Mitte April kommt in deutscher Übersetzung der erste Band von Wassmos erster Trilogie (die Tora-Trilogie) unter dem Titel „Deutschenkind“ heraus. Darin beschreibt sie, wie mir meine norwegische Freundin Dina (ja die, nicht die Roman-Dina) bestätigte, ein brisantes Tabu-Thema in Norwegen, nämlich wie die Bevölkerung mit Frauen umging, von denen man ein Verhältnis mit deutschen Besatzungssoldaten vermutete und wurde gar in solcher Verbindung ein Kind gezeugt, dann … Ja, das können Sie in „Deutschenkind“ lesen.

Viel Spaß beim Lesen.
Klausbernd

Buchtalk, Selma Lagerlöf

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Buchtalk, Selma Lagerlöf

Heute vor 72 Jahren starb die erste Frau, die den Nobelpreis für Literatur erhielt: Selma Ottilia Lovisa Lagerlöf, die das beliebte Jugendbuch „Die wundersame Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“ 1906 schrieb. – Huch, ich bin ganz flattrig, da ich ja nach dieser schwedischen Autorin benannt worden bin. Unser Master hat seit seiner Jugend den Nils-Holgerson-Roman neben Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf stehen und dort steht er immer noch auf Regalbrett 1. Siri und ich flattern oft auf dieses Regalbrett, denn Nils und Pippi sind unsere lieben Freunde wie für viele skandinavische Kinder.

Holgerssons Reise wurde so berühmt, dass der kleine Nils auf dem schwedischen Zwanzig-Kronen-Geldschein und auf einer deutschen Briefmarke auf der schneeweißen Leitgans sitzend verewigt wurde. Schiffe und Flugzeuge wurden nach ihm benannt und der Ethologe Konrad Lorenz nannte eine seiner Versuchsgänse „Martina“ nach dem Lieblingsbuch seiner Kindheit.

Der vierzehnjährige Nils, freilich ein frecher Bursche, wird in einen Wichtelmann (Schwedisch: „tomte“) verwandelt und kann so von der Gans Martin in die Lüfte über Schweden getragen werden. Das war die geniale Idee, mit der Selma Lagerlöf den Auftrag des schwedischen Lehrerverbands ausführte, ein Buch über die schwedische Landeskunde zu schreiben. Dieser Roman, den die an Frauenfragen interessierte Autorin nach ihren Erfolgen „Gösta Berling“ und „Jerusalem“ veröffentlichte, ist ein vom Fortschrittsglauben geprägter Entwicklungsroman und zugleich der erste große Roman, in dem ein Kind die Hauptperson spielt. Von Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ übernahm die Autorin die Idee der sprechenden Tiere, die ja in einem Geografiebuch, als das man den Roman auch sehen kann, eher unüblich sind. Weniger bekannt ist, dass Selma Lagerlöf mit diesem Roman die schwedische Sprache (bes. die Grammatik) vereinfachte.

Ihre frauenemanzipatorische Einstellung drückt die Autorin nicht nur in der Parallelgeschichte von Åsa aus, sondern auch in der altehrwürdigen Leitgans Akka von Kebnekaise, wobei der Berg Akka „die Königin“ Lapplands genannt wird und auf Samisch „die Mutter“, auf Finnisch „die weise Frau“ heißt. Einen anderen Bezug zum Finnischen finden wir in dem Namen der anderen Gänse Yksi, Kaksi, Kolme, Neljä, Viisi, Kuusi (finnisch für die Zahlen eins bis sechs). Symbolisch reflektiert, spielt sich die Åsa-Geschichte auf der Erde als weibliches Element ab, die Nils-Geschichte in der Luft als männliches Element. Insgesamt ist dieser Roman eine Fundgrube für die Mythologie und Symbolik der nordischen Völker.

Selma Lagerlöf

Nach dem Nils-Holgersson-Roman veröffentlichte Selma Lagerlöf noch weitere Romane wie „Liljecronas Heimat“ (1911), „Der Fuhrmann des Todes“ (1912), „Der Kaiser von Portugallien“ (1914), „Das heilige Leben“ (1918) und die Trilogie „Der Ring des Generals“, (1925), „Charlotte Löwensköld“ (1925), „Anna, das Mädchen aus Dalarne“, (1928). Alle diese Werke standen jedoch im Schatten des so enorm erfolgreichen Nils-Holgersson-Romans, von dem Selma Lagerlöf meinte, dass dieser Roman eine Goldgrube besser noch als der Nobelpreis gewesen sei.
Übrigens die zweite skandinavische Nobelpreisträgerin war auch eine Frau, nämlich die 24 Jahre jüngere Norwegerin Sigrid Undset, die jedoch im Unterschied zu Selma Lagerlöf äußerst konservativ lebte. Beide Lagerlöf und Undset verbindet jedoch, dass sie streng gläubig waren.

Wer Selma Lagerlöf genauer kennenlernen möchte, dem seien ihre beiden Memoiren „Memoiren eines Kindes“ (1930) und „Tagebuch der Selma Ottilia Lovisa Lagerlöf (1932) empfohlen.

Mit herzlichem Gruß
Dina, Siri, Selma und Klausbernd „Masterchen“

Buchtalk: Knut Hamsun

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Buchtalk: Knut Hamsun

Zu Hamsuns 60. Todestag am 19. Februar

„Einen Dank für die einsame Nacht, für die Berge, für das Rauschen der Finsternis und des Meeres, es rauscht durch mein Herz! Einen Dank für mein Leben, für meinen Atemzug, für die Gnade, heute Nacht leben zu dürfen, dafür danke ich von Herzen! Lausche nach Osten und lausche nach Westen, nein, lausche! Es ist der ewige Gott! Diese Stille, die gegen mein Ohr murmelt, ist das siedende Blut der Allnatur, Gott, der die Erde und mich durchwebt.“
Knut Hamsun, Pan

Knut Hamsun. Freundliche Leihgabe von Kirsten H. Rasmussen

Also, Ihr Lieben, heute Nacht war was los bei uns. Da hat doch unser Master völlig troddelig die Bücher Hamsuns zwischen Henrik Ibsen und Sigrid Undset ins Regal gestellt. An Schlaf war nicht zu denken, große Randale auf Regalbrett 3 Nord. Ich sage Euch, dieser störrische Hamsun ist wirklich ein Störenfried, ein grumpy old man, wie wir hier sagen. Ich glaube, Ibsen war ihm zu modern. Bei Ibsen war Nora vom Geist der Befreiung beseelt, während für Hamsun die Frauen unerreichbare, hehre Wesen waren. Naja, vielleicht war es einfach Neid, denn Ibsen war damals sooo viel bekannter als er. Dennoch sollte Ibsen – ich finde das völlig unberechtigt! – nie den Literaturnobelpreis erhalten, den Hamsun als zweiter Norweger im Jahre 1920 zugesprochen bekam – nach Bjørnstjerne Bjørnson, für dessen Bauernerzählungen er schwärmte. In seinem Werk „Mysterien“ bringt Hamsun wie in der mittelalterlichen Dichtung üblich einen Dichterkatalog, bei dem Ibsen zusammen mit Tolstoi und Maupassant schlecht wegkommen, wobei Bjørnson und de Musset sehr gelobt werden. Ja, Hamsun konnte Ibsen partout nicht leiden, was er laut herausposaunte und seine Beliebtheit nicht gerade steigerte. Hamsun war schon ein eigensinniger Querkopf.
Zur dritten norwegischen Nobelpreisträgerin Sigrid Undset verhielt sich Hamsun wie Feuer zu Wasser. Während Hamsun nicht nur auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an von Ossietzky (1935) mit massiver Kritik reagierte und die Einrichtung von Konzentrationslagern rechtfertigte (Ossietzky befand sich im KZ Esterwegen) und 1943 Hitler und Göbbels in Deutschland besuchte, hat Sigrid Undset das besetzte Norwegen als Unterstützerin des norwegischen Widerstands verlassen müssen. Hamsun wurde im besetzten Norwegen als Dichter Nummer eins hoch gelobt, er war neben Karl May einer der Lieblingsschriftsteller von Hitler, der „Segen der Erde“ als Blut-und-Boden-Literatur goutierte. Allerdings sollte sich das nach dem Krieg drastisch ändern. In seinem Eigensinn schrieb Hamsun noch einen Nachruf auf Hitler und dann ging`s bergab mit ihm. Er wurde nach dem Krieg als Landesverräter verhaftet, zu einer ruinösen Geldstrafe verurteilt und eine Zeitlang in die Psychiatrie eingewiesen, worauf er 1949 in „Auf überwachsenen Pfaden“ eingeht und reuelos seine Haltung rechtfertigte. Erst zu Hamsuns 150. Geburtstag 2009 schlossen die Norweger offiziell mit ihm Frieden, indem die Königin die feine Unterscheidung zwischen Hamsun als Autor und als Person machte. Und wir beide Feen müssen zugeben, dass wir in Hamsuns Romanen keine faschistischen Stellen gefunden haben – wirklich nicht! Als Sigrid Undset gleich nach dem Krieg nach Norwegen zurückkehrte, wurde sie hoch gelobt und ausgezeichnet, Hamsuns Werke dagegen wurden von einigen Norwegern vernichtet, wie es Lars Saabye Christensen in seinem Roman „Der Halbbruder“ beschreibt: „Der Autor war während des Krieges ein Lümmel. Deshalb haben wir seine Gesammelte Werke hier im Kaminofen verbrannt.“

„Jetzt hast du dich über Hamsuns politische Einstellung mokiert, aber wo bleibt der Dichter Hamsun?“, kritisiert mich Selma. „Naja, der Hamsun ist einer, der mehr gelobt als gelesen wird“, rechtfertige ich mich, die mit Hamsun ihre Schwierigkeiten hat. Ehrlich gesagt, finde ich Hamsun langweilig. Klar, das weiß ich doch als BuchFee, hat Thomas Mann Hamsun hoch gelobt. Er bezeichnete ihn als den würdigsten Nobelpreisträger und sicher hat dieser norwegische Querkopf moderne Techniken des Romans wie den inneren Monolog und die erlebte Rede vorbereitet, auf ihn konnten Joyce und Proust aufbauen und selbst zeitgenössische norwegische Autoren wie Saabye Christensen und (Masters verehrter) Jan Kjærstad beziehen sich Hamsun, wie auch Ernest Hemingway, Hermann Hesse, H.G. Wells, Henry Miller, Bert Brecht und Robert Musil. Dennoch fand ich Hamsun einschläfernd. Er wird ja wegen seiner Landschaftsbeschreibungen und Naturmystik gelobt, ich fand jedoch außer in „Pan“ und „Die Schwärmer“ nicht viel davon. Nach all der Hamsun-Leserei griff ich abends im gemütlichen Kuschelbettchen zu Georg Engels Roman „Zauberin Circe“. Im Gegensatz zu Hamsun ist sein Zeitgenosse, der Bestsellerautor Engel, heute völlig vergessen, aber wer Naturschwärmereien liebt, der sollte lieber zu Engel als zu Hamsun greifen.

Unser Master sprach ganz verwirrt von „Hamundsen“ als wir gemeinsam die alte Hamsun-Ausgabe auf der Suche nach Naturmystik durchblätterten, als ob Amundsen und Hamsun etwas gemeinsam hätten – oder doch? Wie dem auch sei, naturmystische Schilderungen fanden wir in „Pan“ und „Die Schwärmer“ (dort nur in winzigen Abschnitten), ein Loblied auf die Erde und das bäuerliche Leben in „Segen der Erde“, das Masterchen, Dina und ich als seinen lesenswertesten Roman fanden. Dies war der einzige Roman Hamsuns, bei dem ich wissen wollte, wie er ausgeht. Große Schwierigkeiten hatte ich, „Mysterien“ zu lesen, einen Roman bei dem ich bis heute nicht verstanden habe, warum Hamsun – für mich völlig unmotiviert – ständig zwischen Präteritum und Präsenz wechselt. Oder sollte das an den schlechten Übersetzungen liegen, angesichts derer unsere liebe zweisprachige Dina sich die Haare raufte.
Sicherlich waren Hamsuns psychologische Überlegungen damals acht Jahre vor Freuds Erscheinen der „Traumdeutung“ neu, heute wirken sie jedoch wie abgestanden Altbekanntes. Das Skurrile und Fantastische der Geschichte hätte selbst ich besser verdichten können. Diese überzogene Liebesgeschichte war ja fast so exaltiert wie Goethes Bestseller „Die Leiden des jungen Werther“, der heute nicht ohne Lachkrämpfe zu lesen ist. Dennoch schuf Hamsun mit Nagel, dem wundersamen Exzentriker und Hysteriker in „Mysterien“ einen postmodernen Helden, wie auch in jenem erfolglosen, ja lächerlichen Schreiberling in „Hunger“. Der Versager als Held, das hört sich nach einem Nihilismus á la Nietzsche an, meint Masterchen – oder sollte sich dahinter Hamsuns panische Angst vor dem Alter verbergen?
In „Viktoria“ werden Liebe und Sexualität als Naturmächte, denen der Mensch ausgeliefert ist, überhöht. Und immer schreibt Hamsun gegen die böse Großstadt und den Fortschritt an, auch ein Thema in „Hunger“, der Roman, der seinen Weltruhm begründete, unter anderem deswegen, da er auf den damals üblichen vermittelnden Erzähler verzichtete und eindringlich aus der Ich-Perspektive erzählt. Man kann dieses Buch nicht weglegen oder schmeißt es nach den ersten drei Seiten ins Feuer, schrieb treffend ein Rezensent.
Mich hat es ja fast von meinem Regal geworfen, als ich „August Weltumsegler“ las, die Geschichte eines Spekulanten, die sich fast wie eine Vorausschau der heutigen Finanzkrise liest. Dort unterstrich ich dick: „Der Mensch will höher fliegen, als ihm die Flügel dazu gewachsen sind. Da fällt er herunter.“

„Wenn wir dann eine Zeitlang gewandert sind, dann wandern wir noch eine Weile; wir wandern einen Tag, darauf eine Nacht, und endlich in der Dämmerung des nächsten Tages ist die Stunde gekommen, und wir werden getötet, in Ernst und Güte getötet. Das ist der Roman des Lebens mit dem Tod als letztem Kapitel. Das ist alles so mystisch.“ (Knut Hamsun, Das letzte Kapitel) Hamsun starb vor 60 Jahren auf seinem Gut Nørholm bei Grimstad.

Meine Schwester Selma pocht darauf zu erwähnen, dass es noch heute glühende Hamsun-Fans gibt. Wer sich für „Hamsunika“ interessiert, der schaue sich mal diese österreichische Seite an.

Grüße vom Master und meiner Schwester Selma
Eure Siri BuchFee

Buchtalk 1

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Buchtalk 1

Endlich kann ich mich als FeenVater und Master auch mal durchsetzen, etwas selbst zu schreiben. Ich hab erreicht (durch 5 FayrieTaler pro Woche mehr Taschengeld – knirsch!), dass ich bei Siri und Selma zumindest unregelmäßig eine Kolumne „Buchtalk“ bekomme.

Heute möchte ich Ihnen Romane vorstellen, die mich in letzter Zeit faszinierten: Jan Kjærstads Trilogie „Der Verführer, „Der Eroberer“, „Der Entdecker“, von Ian McEwan „Solar“ und von Daniel Glattauer „Gut gegen Nordwind“ und dann wird am Schluss als Kontrastprogramm Sigrid Undsets „Kristin Lavranstochter“ erwähnt.

Jan Kjaerstad

Schon von den ersten Seiten an haben mich Kjærstads Romane fasziniert. Die Metaphern und die zarte Ironie, die treffenden Beobachtungen schlugen mich in den Bann. Dann erst bemerkte ich, als der Erzähler und der Erzähler des Erzählers auftreten, wie geschickt in den drei Romanen die Betrachtung der Welt eines Fernsehstars konstruiert ist. Ich werde als Leser ständig darauf hingewiesen, dass es sich keineswegs um eine gar objektive Beschreibung von Realität handelt, sondern um ein Artefakt, um eine künstliche Welt. Zum einem gleicht das dem epischen Theater Brechts, der in seinem Theater die Schilder „Glotzt nicht romantisch“ aufstellte, um den Zuschauer zum kritischen Betrachter zu erziehen.

Die Jonas Wergeland Trilogie

Zum anderen sind das drei postmoderne Romane, die sich selbst medienkritisch reflektieren [Siri BuchFee: Masterchen meint, der Roman reflektiert im Roman die Art, wie er gemacht ist, nämlich völlig subjektiv]. Kjærstads als talentierter Erzähler lässt jedoch die Reflektionen nie seine Geschichten unterbrechen. Inhalt und Stil sind in beneidenswerter Weise miteinander verflochten, was einen Hochgenuss beim Lesen erzeugt (auch beim naiven Leser) [Siri: von ihm kann Masterchen noch einiges lernen]. Es erstaunt mich, wie Kjærstad durch ein fein verwobenes Netz von Geschichten viel Wissen spielerisch vermittelt. Sehr differenziert sind seine Reflexionen des Fernsehens, denn die Hauptperson der Trilogie Jonas Wergeland ist ein medienkritischer Fernsehstar.

Ian McEwan

Nach drei Büchern Kjærstad griff ich Abwechslung suchend nach McEwans „Solar“. So wie Kjærstad einer der zur Zeit führenden Autoren Norwegens ist, so ist McEwan gerade einer der führenden Autoren Englands. Bei beiden wird ein Heldenbild dekonstruiert [Siri: vergesst diese Anspielung auf den Dekonstruktivismus, er meint, beide entlarven Helden]. McEwans Stil einer weitgehend linear erzählten Geschichte wirkt konservativ Kjærstads Stil gegenüber, aber auch seine Geschichte der Verstrickungen eines Nobelpreisträgers ist (zumindest nach dem ersten Viertel des Romans) spannend und witzig erzählt.

Obwohl diese vier Romane nicht mit sexuellen Abenteuern sparen, die Kjærstad als Mittel der Erkenntnis feinsinnig beschreibt, ist „Solar“ ein psychologischer Roman, die drei Romane Kjærstads sind das jedoch nicht (noch eine Gemeinsamkeit mit Brecht, der das Psychologisieren in der Literatur ablehnte).
Wie schon „Abbitte“ zerfällt auch „Solar“ in Teile, diesmal drei, die jedoch besser verknüpft sind als die beiden Teilen von „Abbitte“ [Selma KnipsiFees Kommentar: Im Film fällt das weniger auf als im Buch]. „Solar“ ist trotz allem so spannend zu lesen, dass ich unbedingt wissen wollte, wie die Geschichte ausgeht.

Mit Glattauers hoch gelobten E-Mail-Roman hatte ich zu Beginn größte Schwierigkeiten [SiriFee: weil Masterchen eher kulturkonservativ ist, E-Mails erscheinen ihm nicht kunstwürdig, oh je … ].  Der Stil langweilte mich und dieses ewige Gejammere des Mannes über seine Verflossene, hat mich auch nicht gerade amüsiert. Erst nach etwas Rauchen und einer halben Flasche Wein wurde nach 100 Seiten die Geschichte spannend, plötzlich sehr spannend sogar. Der Sprachwitz  und das Raffinierte am Einfachen der Story begannen mich zu packen. Erst jetzt bemerkte ich, wie Glattauer ähnlich wie Kjærstad sein Medium, eben die E-Mail-Kommunikation (als Nachfolger des Briefromans), reflektiert. Am Schluss wollte ich unbedingt wissen, treffen sie sich nun oder nicht – aber ich verrate nichts.

Sigrid Undset

Ich bin übrigens durch Jan Kjærstad Sigrid Undset [Siri: oh dear, name dropping, wenn Ihr es nicht wisst, sie war die Nobelpreisträgerin für Literatur 1928 für „Kristin Lavranstochter“] wieder begegnet, die ich mit Anfang zwanzig las. Undset: die scheue Autorin, die in ihrer mittelalterlichen Welt lebte und so viel anders aussah, als ich sie mir vorgestellt hatte (als nordische Schönheit langhaarig blond, wie Figuren aus ihren Büchern). Mich wundert, dass all die Mittelalterfans sie nicht wiederentdeckt haben, aber daran hinderte sie wohl, dass Sigrid Undset zum Katholizismus konvertierte (ein Skandal in Norwegen) und ihr Glaube, dass der Mensch sich letztendlich nicht ändert.
In „Der Eroberer“ beschreibt Kjærstadt, wie Sigrid Undset den Tisch küsst, an dem Linné die große Ordnung (in der Pflanzenwelt) schaffte. Undsets Ideal war diese große Ordnung, die sie im Mittelalter sah.
Also, für alle Mittelalterfans: Sigrid Undset lesen, lohnt sich (das Gegenteil von postmodern). Ich empfehle „Kristin Lavranstochter“ – ein Buch, bei dem ich als Zwanzigjähriger ständig einschlief, da hatte ich andere Interessen [Selmas Erläuterung: Masterchen kommt aus ehrgeiziger Familie, da musste man solche NobelpreisSchinken gelesen haben, naja, angelesen haben zumindest oder so. Siri und ich, wir lieben die Undset, da sie so rührend beschreibt, wie die junge Kristin unsere Verwandten, die Elfen trifft].

Viel Lesevergnügen
wünscht Masterchen

P.S.: Dank den lektorierenden BuchFeen Siri und Selma