Theater am Schiffbauerdamm

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Theater am Schiffbauerdamm

Wir beiden liebklugen Buchfeen Siri und Selma haben Masterchen überrascht, als er im Theater am Schiffbauerdamm, dem Theater des Berliner Ensembles, „Mutter Courage und ihre Kinder“ sah. Das Theater hatten wir uns völlig anders vorgestellt. Wir waren geschockt, als wir ins Foyer einflatterten, wo Masterchen mit der Gartenfee zweifelhaften Prosecco tranken. Der gründerzeitliche Prunk ließ uns verstummen, aber es kam noch schlimmer, der Zuschauerraum ist mit Figuren und goldenen Schmuckelementen überladen. Sehenswert, aber weder schön noch brechtisch. Ein klares, eher asketisches Theater hatten wir beide erwartet und nun das. Diese Pracht steht doch im krassen Widerspruch zu Brechts Theaterästhetik, wunderten wir uns. Masterchen erklärte es uns so: „Der Zuschauer soll aus der Welt des schönen Scheins in die Realität der gesellschaftlichen Verhältnisse eingeführt werden.“ Na, wenn das keine Rationalisierung ist! Aber der Widerspruch zwischen dem Theaterraum und der kargen Bühne war schon enorm.

Ursprünglich war dies Max Reinhardts Theater gewesen. 1928 übernahm Ernst Josef Aufricht dieses Theater als Direktor (mit Geld seines wohlhabenden Vaters pachtete er es), ein Greenhorn, von dem wir Buchfeen nie zuvor und nie danach gehört haben, also ein Anfänger, der verzweifelt ein Stück zu Beginn seines ersten Spielplans suchte. Da stieß er zu seinem großen Glück auf Brecht, der nach chaotischen Proben seine Bearbeitung von John Gays „Beggar`s Opera“ als „Dreigroschenoper“ auf die Bühne brachte. Das Stück war ein Riesenerfolg, es lief ein Jahr lang. Wir sahen es einst in der Hamburgischen Staatsoper mit Dina und Masterchen und haben uns köstlich amüsiert – großes Theater, das wir euch sehr empfehlen können. Masterchen meinte, es sei ein anspruchsvoller Vorläufer der Musicals. Elias Canetti, der zur Premiere am 31. August 1928 angereist kam, nannte die „Dreigroschenoper“ eine raffinierte, kalt berechnete Aufführung, bei der „keine Sau sich hätte wohler fühlen können.“ Das bürgerliche Publikum amüsierte sich entgegen Brechts Intentionen prächtig. Allerdings sollte das der einzige große Erfolg bleiben, den diese Bühne sah. Die „Dreigroschenoper“ machte Brecht reich und das Theater am Schiffbauerdamm berühmt.

Als Brecht, so lasen wir im Programmheft, 1948 nach Berlin zurückkehrte, begehrte er dieses Theater, was ihm allerdings erst 1954 gewährt wurde. Brecht wurde nämlich scharf von der stalinistischen Fraktion in der DDR als Formalist angegriffen, der sich in spätbürgerlichen Spielereien verliert. Der listige Kämpfer Brecht setzte sich jedoch durch. Er hatte dann in diesem Theater von seinen Stücken nur „Der Kaukasische Kreidekreis“ und teilweise „Das Leben des Galileo“ inszeniert, ein Stück, in dem er die Frage nach der Verantwortlichkeit der Intellektuellen stellt. Während der Proben zu diesem Stück stirbt Brecht und Helene Weigel übernahm bis 1971 die Intendanz, die heute Claus Peymann innehat.

Die Inszenierung von Brechts Klassiker schien Masterchen etwas zu gefällig. Er misst die Mutter Courage immer noch an Helene Weigels Spiel, die vorbildlich diese Figur, die viel Brechtisches besitzt, darstellt und zugleich zeigt, dass sie eine Figur spielt und diese nicht ist. Uns Buchfeen hat diese Aufführung gefallen, wenn sie uns auch nicht vom Hocker riss, da neue Inszenierungsideen fehlten, außer dass Brechts Originaltext vom Berliner Ensemble ziemlich gestrafft worden war, was aber Tempo brachte. Und bedenkt, dass dieses meistgespielteste Stück Brechts über 70 Jahre alt ist und immer noch sehenswert.

Liebe Grüße von uns Buchfeen
Siri und Selma

Über Klausbernd

Autor (fiction & non-fiction), Diplompsychologe (Spezialist für Symbolik, speziell Traum- und Farbsymbolik)

Eine Antwort »

  1. Nicht nur bei der Uraufführung war Brechts Theater nur was für die Zielgruppe, die er gar nicht erreichen wollte. Wer heute im Theater am Schiffbauerdamm was sehen will, muss 21 oder 31 Euro auf den Tisch legen, und trotzdem reichen die Einnahmen dieses von der bürgerlichen Gesellschaft hoch subventionierten antibürgerlichen Zirkus noch nicht einmal, um das Jahresgehalt vom Chef Peymann (250.000 €) zu bezahlen. Hauptstadt-Dekandenz.

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  2. Ja ihr lieben Feen, mit Vorwürfen kommen wir nicht weiter.
    Als ich mit 19 im Bolschoi-Theater saß, all der Prunk und Glanz vegangener Zeiten….der Theaterbesuch nur der Elite vorbehalten, den Devisenbringern oder den Leistungsträgern des Landes.
    Wie fühlte ich mich da, durch Zufall in die Chefloge geraten, direkt neben Grigorowitch, Veilchen streuend auf Ludmilla…..
    Als er Jahre später mal bei einem Gastspiel in unserem Theater in LU stand, traute ich mich nicht ihn anzusprechen, ich denke, der wusste nicht, warum ich ihn so anstarrte. Diese Zeitsprünge, Entwicklungen….
    Verkehrte Welt, dachte ich, das merkste dir mal klein Pia!
    Hier ist was verrückt, am besten geht man ins Theater, da erlebt man was!!!!
    Einen schönen Feentag…..
    Die Ballettvorstellungen waren übrigens einfach sensationell und ansonsten bin ich kein sehr Kritischer, was Inszenierungen angeht, ich hätte da mehr Kritik am Publikum zu üben, aber auch das hilft wohl nichts…..

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    • Liebe Pia,
      besonders das männliche Publikum war erstaunlich: Schicke graue Arbeitermütze zur Arbeiterjacke aus gutem Tuch. Sollte man das „edler Prol-Look“ nennen? – ein Widerspruch in sich … Bei Brecht wird man auf allen Ebenen mit Widersprüchen konfrontiert, das macht ihn so lesbar oder sehbar. Bei den Frauen sah man weniger ein Stilrichtung zum Prol hin, was wohl auch daran lag, das in der Tat das Publikum gut situierte und meist auch ältere Herrschaften waren. Die taten sehr gebildet und was ich von Gesprächen auffing, waren sie es auch. Aber man gab sich gewollt lässig, was meist nicht so recht gelingen wollte. Boshaft gesagt, es war eine Versammlung biederer Bildungsbürger, genau die, die Brecht verachtete. Ich glaube nicht, dass ein Arbeiter unter den Zuschauern zu finden war.
      Soweit zum Publikum. Liebe Grüße aus dem sonnigen Zürich
      Klausbernd

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      • „Das moderne Theater muß nicht danach beurteilt werden, wieweit es die Gewohnheiten des Publikums befriedigt, sondern danach, wieweit es sie verändert.“
        – B. Brecht

        Vorausgesetzt, es erreicht dem Publikum.
        Liebe Grüße aus dem Rheinland
        Dina

  3. … lang ist’s her ..die Mutter Courage war bei mir Schullektüre. Sollte ich vielleicht mal wieder aufgreifen 😉 Dieser Kontrast allerdings ..ist frappierend, und was du über die Zuschauer schreibst, klingt auch nicht gerade sehr „brechtisch“. Was er dazu wohl sagen würde .. aber vielleicht hat die Aufführung den einen oder anderen ja doch auf eine Weise erreicht und bewegt, die etwas in ihrem Denken verändert ..

    Sonnige Grüsse aus dem Schwabenländle und ein schönes Wochenende wünscht dir Ocean 🙂

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    • Liebe Ocean,
      „Brecht und sein Publikum“ – das wäre ein ergiebiges Thema für eine Dissertation. Der gute Brecht hat nie das Publikum gehabt, das er sich gewünscht hat. Das war ihm bereits nach seinem großen Erfolg mit der Dreigroschenoper klar. Boshaft gesagt, es ist heute noch schlimmer geworden. Als Brecht-Spezialist habe ich in den siebziger Jahren bei „Herr Puntilla und sein Knecht Matti“ Regieassistenz am Internationalen Theater in Montreal gemacht. Da kamen immerhin noch linke jüdische Intellektuelle und Gewerkschaftselite. Bei der Mutter Courage vorige Woche in Berlin zeigte man sich liberal gebildet. Brechts Theatertheorie ist im Grunde nicht zuletzt daran gescheitert, dass er zum Klassiker geworden ist. Über die durchschlagende Nicht-Wirkung der Klassiker hat, glaube ich, Brecht sogar selbst nachgedacht. Boshaft gesagt, Brecht findet man gut wie man eben Heine und Nietzsche gut findet. Man könnte hier Marcuse anwenden, der meinte, der Kapitalismus kämpfe durch Integration. Brecht jedenfalls ist voll integriert als Klassiker, wodurch seine revolutionäre Kraft unterhaltsam neutralisiert wurde. Und somit ist Brecht zum bürgerlichen Unterhaltungsprogramm verkommen und überlebt. Brecht war sich selbst schon klar über diese Entwicklung, aber vielleicht eitel oder gar weise genug, nichts dagegen zu tun. Er wusste wie die Mutter Courage zu überleben – bis heute.
      Mich faszinieren Brechts „Theatertheoretischen Schriften“ und welch unterhaltsamen Stücke er mit dieser völlig neuen Ideen des epischen Theater schuf. Brecht war immer viel zu Avantgarde und cool, um „Arbeiterdichter“ zu sein.
      Liebe Grüße aus dem sonnigen Zürich und eine feine Woche dir
      Klausbernd

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  4. Liebe Buchfeen,

    ich habe in diesem berühmten Theater vor langer, langer Zeit „Der gute Mensch von Sezuan“ gesehen. Klar, ich habe nicht alles verstanden, aber ich war gut vorbereitet, mir hat es gut gefallen. Auch diese andere Art des Theater zu sehen und erleben, nicht mitzufühlen, sondern mitzudenken, nicht alles sehen zu dürfen und dann mehr als sonst sehen.
    Zum Schluss, in diesem Stück, fassen die Figuren wohl am besten zusammen, was Brecht mit seinem Theater bezwecken wollte:
    „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
    Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

    Herzliche Grüße aus Stockholm
    Buchdame

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    • Hi liebe Buchdame,
      „Der gute Mensch von Sezuan“, fast wie eine barocke Vertauschungskomödie inszeniert, ist doch witzig und dieses open end sehe ich als Selbstironie und zugleich als Denkanstoß. Ein erstaunlich aktuelles Stück über die Persona (Jung) – so könnte man das Stück inszenieren – oder fein alles offen lassen, ob nun die Gesellschaft und die Entfremdung gemeint ist oder das Abbild der Psyche des modernen Menschen. Das ist für mich auch ein „Qualitätsmerkmal“ von Brecht: Er ist für viele Interpretationen offen – und viele davon sind höchst unbrechtisch. Irgendwie finde ich das einen cleveren Trick als Autor – so wird man Klassiker …
      Ganz liebe Grüße dir aus dem sonnigen Zürich, ich war gestern bei den Reichen und Schönen in St. Moritz
      Klausbernd

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  5. Pingback: As you make your bed | The World according to Dina

  6. Also ihr Lieben, auf unserem neuen Blog, wie ihr an dem Pingback seht, geht’s mit Brecht weiter. Er wird uns wohl immer wieder mal beschäftigen.
    Liebe Grüße, frohe Ostern
    Klausbernd 🚶Dina 💃 und unsere munteren Buchfeen Siri und Selma 👭

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