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Memories of Water – Anaïs Nin

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And the day came when the risk to remain tight in a bud was more painful than the risk it took to blossom

Anaïs Nin

Wir Buchfeen Siri und Selma waren schon immer fasziniert von Anaïs Nin (1903-1977). Sie ist eine Autorin, die besonders für ihre Tagebücher – 35000 Seiten Tagebuch schrieb sie seit ihrem 11. Lebensjahr – und erotischen Erzählungen berühmt ist. Ihre Freundschaft mit Henry Miller, dem sie half „Der Wendekreis des Krebses“ zu veröffentlichen, brachte ihr den Auftrag, für einen Sammler pornographische Erzählungen für einen Dollar pro Seite zu schreiben. Daraus wurde ihr höchst erfolgreicher Erzählband „Das Delta der Venus“, der später verfilmt wurde. Was Masterchen bereits in seinem kurzen historischen Abriss „Der pornografische Roman“ schrieb, trifft auch für diesen Erzählband zu: Die beste pornografische Literatur wird von Frauen geschrieben.

We, the Bookfayries Siri and Selma, have always been fascinated by Anaïs Nin (1903-1977). She is an author known for her diaries. She wrote 35000 pages of diary  from her age of 11 onwards, and her erotic stories are famous too. She was a close friend to Henry Miller, whom she helped to publish „The Tropic of Cancer“. Miller helped her in return to a commission to write pornographic stories for a dollar per page for a collector. These stories became years later Nin`s highly successful short story collection „The Delta of Venus“ which was filmed as well. To these short stories applies what our Master already wrote in his blog short history of the pornographic novel: The best pornographic literature is written by women.

Throw your dreams into a space like a kite and you do not know what it will bring back, a new life, a new friend, a new love 

Anaïs Nin

Wesentlich war für Anaïs Nin ihre D.H. Lawrence Lektüre. Speziell faszinierte sie dessen Meinung, dass es verlogen sei, seine Begierden zu verleugnen. In dieser Ansicht trafen sich D.H. Lawrence und H. Miller und letztlich vertrat A. Nins großes Vorbild Lou Andreas-Salomé nicht nur diese Gedanken, sondern lebte sie auch.

Reading D.H. Lawrence was essential for Anaïs Nin. She was fascinated by Lawrence’s strong opinion that it is hypocritical to deny one`s desires. That was Henry Miller`s idea as well. He and Lou Andreas-Salomé, who Nin adored, didn`t obviously deny her desires.

Life shrinks or expands in proportion to one`s courage

Anaïs Nin

Anaïs Nin war außer Autorin auch eine von Otto Rank ausgebildete Psychoanalytikerin, die sich besonders mit Inzest befasste. Aus ihrem skandalösen Buch „House of Incest“ (1936, nur 76 Seiten lang)  stammt das folgende Zitat, das uns megagut gefiel. Anaïs Nin lebte drei Tage und Nächte mit ihrem Vater (bei Nimes). Noch heute fragen sich Literaturwissenschaftler und Buchfeen, ob es wirklich zum Inzest kam oder ob es sich um eine literarische Fiktion handelt. Anaïs Nin gab vor, ihren Vater verführt zu haben.

Anaïs Nin was an author as well as a trained psychoanalyst (trained by Otto Rank) which was particularly concerned with incest. We took the following quote from her scandalous book „House of Incest“ (1936) – a small book we really liked. Anaïs Nin lived three days and nights with her father near Nimes. Literary scholars and Bookfayries like us wonder if it actually came to an incest or whether it is a literary fiction. Anaïs Nin pretended to have seduced her father.

„I remember my first birth in water. All round me a sulphurous transparency and my bones move as if made of rubber

Cleybeach1_klein

I sway and float, stand on boneless toes listening for distant sounds, sounds beyond the reach of human ears, see things beyond the reach of human eyes. Born full of memories of the bells of Atlantide.

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Always listening for lost sounds and searching for lost colors, standing forever on the threshold like one troubled with memories, and walking with a swimming stride.

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I cut the air with wideslicing fins, and swim through wall-less rooms.“

From Anaïs Nin, House of Incest

Solche Sätze wie „I, with a deeper instinct, choose a man who compels my strength, who makes enormous demands on me, who does not doubt my courage or my toughness, who does not believe me naive or innocent, who has the courage to treat me like a woman“ ließen A. Nin zu einer der beliebtesten Autorinnen für Frauen auf ihren Selbstfindungsweg werden.

Such sentences like „I, with a deeper instinct, choose a man who compels my strength, who makes enormous demands on me, who does not doubt my courage or my toughness, who does not believe me naive or innocent, who has the courage to treat me like a woman“ let A. Nin become one of the most popular authors read by women trying to free themselves.

Herzliche Grüße vom kleinen Dorf am großen Meer und, wenn ihr Zeit und Lust habt, schaut doch mal in Anaïs Nins Schriften hinein. Wir finden, es lohnt sich. Und last not least, wisst ihr eigentlich, dass auf der Venus ein Krater „Nin“ zu Ehren von A. Nin benannt wurde?
Did you know that a crater on Venus is named Nin after Anais Nin?
Bis nächste Woche
Siri and Selma

Die Fotos von Dina, DANKE xxx
Fotos by Dina, THANK YOU xxx

She took all the photographs here - except this one. It`s taken by our Master.

Dina took all the photographs – except this one. It`s taken by our Master.

© Fotos: Hanne Siebers
© Text: Klausbernd Vollmar

Der pornografische Roman

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Der pornografische Roman

Hallo, hallo hier schreiben wir liebklugen Buchfeen Siri und Selma 🙂 🙂

Wir wollten euch alle eindringlichst auf die Gefahren aufmerksam machen, die das Lesen erotischer Romane im Bett mit sich bringt. Also: Watch out for book thieves, when you are reading erotics! Ach, und noch etwas, bei denen vielen Büchern auf dem Bett kann diese üppige Dame nur eine Stellenleserin sein, die einschlägige Romane ja anziehen.

Leserin

Antoine Wiertz (1806-1865) La Liseuse re romans (the reader of novels), 1853

Außerdem wird sie sich die Augen verderben, wenn sie weiterhin bei dieser Beleuchtung liest.

Ja und was mögen solche Damen wohl lesen? Was meint ihr denn?
Das „Ching Ping Meh“ wird es nicht sein, denn dieser frühe chinesische Liebesroman, der auch als Liebesschule gelesen werden kann, ist viel dicker als diese Bücher hier, ebenso das „Kamasutra“, jene indische Liebesschule, die die yogische Verrenkung zelebriert. Uns erzählte ein indischer Tantriker, dass dieser Stellungsfetischmus des „Kamasutra“ zum Ziel hat, dass Mann und Frau perfekt ineinander passen. Masterchen lachte sich über diese rationalisierende Erklärung schief. Wir ziehen die neueren Klassiker vor wie John Clelands „Fanny Hill“, ein Roman, der knapp über hundert Jahre vor diesem Bild oben entstand. Es ist ein erzählerisches Meisterwerk von aufklärerischer Moral und so leicht wie das intime Scherzen geschrieben. Naja, als Französin wird unsere Leserin wohl eher nicht Gustav Schilling gelesen haben, der in „Denkwürdigkeiten des Herrn von H.“ den deutschen Casanova schuf. Schilling war ein äußerst produktiver Autor erotischer Literatur – Master las auch „Röschens Geheimnisse“, „Clärchens Geständnisse“ und  „Julchens Schwachheiten“, wobei er nicht ansprechbar war – den Schiller und Wieland lobend erwähnten. Wir Buchfeen finden jedoch Carl Timlichs „Priaps Schule der Lüste“ super, dieser 1789 erschienene Bericht des naiven Pfarrerstöchterleins Fiekchen. Diese amouröse Korrespondenz ist endlich mal ein pornografischer Roman, der nicht vom phallischen Ernst geprägt ist. Wir haben uns köstlich amüsiert. Dann fanden wir noch in Masters Bücherregal von Leopold von Sacher-Masoch „Venus im Pelz“, ein 1869 als Handbuch des Masochismus geschriebener Roman, bei dessen Lesen wir stets einschliefen. Da lieben wir doch schon mehr die freilich deftige „Geschichte der O“, ein Buch, dem man sogleich anmerkt, dass es von einer Professionellen geschrieben wurde – äh, kein Missverständnis, von der renomierten Verlagslektorin Pauline Réage (die auch als Dominique Aury auftrat und 1998 im Alter von 91 Jahren starb). Masterchen besitzt die englische Erstausgabe von Pauline Réages „Story of O“, die bei Olympia Press erschien, ein Verlag, der sich einen Namen machte, erotische bis pornografische Literatur zu veröffentlichen. Interessant ist, dass es in klösterliche Atmosphäre um die absolute Hingabe geht, im Grunde eine Idee, die wir von der frühen Sufi-Literatur wie Nizamis „Leila und Madschnun“ (eines von Masterchens Lieblingsbüchern) und Rumis Gedichten (voll schwul) her kennen. Pauline Réage schrieb diesen Weltbestseller, um einen Mann an sich binden, was ihr auch gelang. „Die besondere Stellung der Geschichte der O“, erklärt Masterchen, „liegt darin, dass die gesamte folgende pornografische Literatur dort die Beschreibung von Situationen klaute. Naja, so viel Unterschiedliches gibt es da auch gar nicht zu beschreiben. Ist das sexuelle Spiel nicht eins mit wenig Variationsmöglichkeiten?“ Da können wir Buchfeen als asexuelle Wesen nur staunen. Dennoch haben wir „Das Delta der Venus“ von Anais Nin mit Freuden gelesen, nicht so wie unsere üppige Dame, zu deren Zeit dieser Episoden-Roman noch gar nicht erschienen war. Sind bei den bis jetzt erwähnten Romanen die Beschreibungen eher direkt, so tritt mit Anais Nin mit ihrer engen Beziehung zum Kreis der frühen Psychoanalytiker die Subtilität in den Vordergrund, ähnlich wie bei Vladimir Nabokovs „Lolita“, ein Roman, der aus derart vielen literarischen Anspielungen besteht, das Masterchen die Seiten mit spitzen Bleistift vollgekritzelt hat. Und noch etwas, Hut ab vor Nabokov, der als Russe diesen Roman in Englisch stilistisch perfekt schrieb.

Jens Bjørneboe

Masterchen meinte, wenn er Töchter hätte, würde er ihnen als Aufklärungsbuch von Jens Bjørneboe (Anthroposoph und Träger des Norwegischen Staatspreises für Literatur) „Nackt im Hemd“ in die Hand drücken, ein Buch, das auch in Deutschland viele Skandale hervorrief und schwer zu bekommen ist. Uns gab Masterchen die Taschenbuch-Ausgabe, die wir, ehrlich gesagt, mit roten Bäckchen und Glitzeraugen in ein paar Stunden lasen und im Geheimen bedauerten, asexuelle Wesen zu sein. Geärgert hat uns nur, dass der Böse in diesem Roman wie oft in der norwegischen Literatur ein Deutscher ist. Dieses Buch ist übrigens irre schwer zu bekommen, letztlich hat es uns Dina besorgt – über dümmliche Zensur von amazon wollen wir hier gar nicht erst reden und überhaupt über Zensur, Bjørneboe wanderte sogar ins Gefängnis wegen dieses Buchs (Bemerkung von mir, der Siri: großer Vorteil der deutschen Taschenbuchausgabe dieses Romans, er ist so dünn, dass er im Regal nicht auffällt 😉 ). Von der norwegischen Literatur lasen wir außerdem von Knut Faldbakken „Der Schneeprinz“ und „Bettgeflüster“, in beiden Büchern schildert dieser erfolgreiche Autor die Sexualität differenziert aus der männlichen Sicht, wenn auch stellenweise etwas langatmig. Als Meisterwerk und Klassiker der norwegischen Literatur muss unbedingt „Das Bild vom roten Rubin“ von Agnar Mykle erwähnt werden, das nicht nur zusammen mit „Nackt im Hemd“ das letzte Buch war, dass in Norwegen auf den Index kam, sondern das uns ausgesprochen gut gefiel mit seinem humorvollen Ton und klugen psychologischen Beschreibungen. Mykle beklagt u.a. die sexuelle Abhängigkeit des Mannes von der Frau, worin sich viele seiner Leser wiederfanden. Uns sagten einige Norweger und Schweden, dass Mykles Werk einen enormen Einfluss auf den Wandel der Sexualmoral in Skandinavien hatte.

In seiner Vorlesungsreihe „Über den begehrenden Körper in der Literatur“ an der McGill University/Montreal hat Masterchen betont , dass seit Anais Nin und Pauline Réage bis auf wenige Ausnahmen gute pornografische Literatur (Masterchen meint „geile“ Literatur, hat sich das aber nicht zu sagen getraut) von Frauen geschrieben wurde. Ja, da staunt ihr – oder?  Als weiblich im Stil und speziel in seiner Metaphorik empfinden wir auch die Romane von Leonard Cohen aus den sechziger Jahren „The Favourite Game“ (ein großer Flopp) und „Beautiful Losers“ (teils hochgelobt in Kanada, wo übrigens Masterchen mit Cohen gut bekannt war).

Wir konnten euch hier nur Bücher vorstellen, die wir in Masters Bibliothek gefunden haben, aber gerade entdeckte ich, die listige Selma, noch eine DVD aus der Reihe Digitale Bibliothek „Erotische Literatur von Lysistrata bis Lady Chatterley“, dort bekommt ihr einen ziemlich vollständigen Überblick über diese verdrängte Literaturgattung (Sammlung von Originaltexten), die wie auf unserem Bild von der Leserin auch immer eine Feier des Narzissmus darstellt, was sich im Symbol des Spiegels ausdrückt.

Tschüß, wir sind wieder weg zu unseren „verbotenen“ Büchern – wer fragte noch letztlich im Blog hier, welche interessante Bücher auf dem Index stehen, na, das ist doch eine Antwort – oder?!
Liebe Grüße
Siri 🙂 und Selma 🙂

Henry Miller

Ach du lieber Himmel, da haben wir doch glatt vor lauter Anais Nin ihren Freund Henry Miller vergessen, der die phallokratische Seite der Sexualität in „Wendekreis des Krebses“, Wendekreis des Steinbocks“, „Sexus“ und im Grunde in allen seinen Romanen ausdrückte. Tiefenpsychologisch ist Millers Angst vor Menstruationsblut vielsagend, aber eins müssen wir auch sagen, Henry Miller war ja besonders im Alter ein attraktiver Mann. Als das weibliche Pendant zu Miller empfinden wir den exhibitionistischen Roman „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ der bekannten Chefredakteurin eines französischen Kunstmagazins Catherine Millet (auch wieder ein Profi 😉 ), ein hoch gelobtes Werk der Kritik.
Nun aber Schluss, aus, Ende!

EILMELDUNG

Mit diesem Thema kommt man einfach nicht zum Schluss. Also very last but not least: „50 Shades Of Grey“, dieser BDSM-Roman von E.L. James ist seit heute das schnellverkaufeste Taschenbuch aller Zeiten,  das selbst „Harry Potter“ in den Schatten stellt. Seit vorigem Jahr, als dieser stilistisch einfallslose Roman veröffentlicht wurde, hat er sich zehn Millionen mal verkauft (Masterchen erblasste vor Neid, als er von diesem Umsatz hörte). Als „Shades Of Grey – Geheimes Verlangen“ wird er in deutscher Übersetzung am 9. Juli bei Goldmann erscheinen. „Dieses Buch ist schärfer als Porno“ textete die BILD und sie fragte sich wie wir, wie es kommt, dass dieses Buch hauptsächlich von Frauen geliebt wird (ist ja auch von einer Frau geschrieben) – wie übrigens auch „Die Geschichte der O“. Dina findet die deutschen Cover viiiiiel schöner als die amerikanischen, was meint ihr denn?

Nun wieder ein Zusatz, 7 Jahre später geschrieben, nachdem ich mit Dina, Siri und Selma das kleinen Burton Museum in St. Ives/Cornwall besuchte und einige Biographien von Sir Richard Burton gelesen habe. Burton war nicht nur ein beachtlicher Linguist und Ethnologe, er hat auch Zeit seines Lebens erotische Literatur aus dem Arabischen und Indischen Kulturbereich gesammelt und übersetzt. M.E. handelt es sich hierbei zwar nicht um Pornographie aber um detaillierte Beschreibungen des sexuellen Aktes. Hier wäre der indische Sex-Ratgeber aus dem 15th Jh. „Kalyan Malla“ zu nennen und „The Pleasure of Women„, ein Buch, das sowohl in Hindi als auch Arabisch ursprünglich herauskam. Seine „Kama Sutra“ Übersetzung steht in unserer Bibliothek, allerdings haben wir nicht seine „1001-Nacht“ Übersetzung mit ihren ausführlichen Anmerkungen über das Sexualleben in der arabischen Welt.
Außerdem kannte er von Pisanus Fraxi (ein Pseudonym) „My Secret Life„, ein Bericht, indem der Autor angibt, mit mindestens 1250 Frauen geschlafen zu haben.

Buchtalk: Knut Hamsun

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Buchtalk: Knut Hamsun

Zu Hamsuns 60. Todestag am 19. Februar

„Einen Dank für die einsame Nacht, für die Berge, für das Rauschen der Finsternis und des Meeres, es rauscht durch mein Herz! Einen Dank für mein Leben, für meinen Atemzug, für die Gnade, heute Nacht leben zu dürfen, dafür danke ich von Herzen! Lausche nach Osten und lausche nach Westen, nein, lausche! Es ist der ewige Gott! Diese Stille, die gegen mein Ohr murmelt, ist das siedende Blut der Allnatur, Gott, der die Erde und mich durchwebt.“
Knut Hamsun, Pan

Knut Hamsun. Freundliche Leihgabe von Kirsten H. Rasmussen

Also, Ihr Lieben, heute Nacht war was los bei uns. Da hat doch unser Master völlig troddelig die Bücher Hamsuns zwischen Henrik Ibsen und Sigrid Undset ins Regal gestellt. An Schlaf war nicht zu denken, große Randale auf Regalbrett 3 Nord. Ich sage Euch, dieser störrische Hamsun ist wirklich ein Störenfried, ein grumpy old man, wie wir hier sagen. Ich glaube, Ibsen war ihm zu modern. Bei Ibsen war Nora vom Geist der Befreiung beseelt, während für Hamsun die Frauen unerreichbare, hehre Wesen waren. Naja, vielleicht war es einfach Neid, denn Ibsen war damals sooo viel bekannter als er. Dennoch sollte Ibsen – ich finde das völlig unberechtigt! – nie den Literaturnobelpreis erhalten, den Hamsun als zweiter Norweger im Jahre 1920 zugesprochen bekam – nach Bjørnstjerne Bjørnson, für dessen Bauernerzählungen er schwärmte. In seinem Werk „Mysterien“ bringt Hamsun wie in der mittelalterlichen Dichtung üblich einen Dichterkatalog, bei dem Ibsen zusammen mit Tolstoi und Maupassant schlecht wegkommen, wobei Bjørnson und de Musset sehr gelobt werden. Ja, Hamsun konnte Ibsen partout nicht leiden, was er laut herausposaunte und seine Beliebtheit nicht gerade steigerte. Hamsun war schon ein eigensinniger Querkopf.
Zur dritten norwegischen Nobelpreisträgerin Sigrid Undset verhielt sich Hamsun wie Feuer zu Wasser. Während Hamsun nicht nur auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an von Ossietzky (1935) mit massiver Kritik reagierte und die Einrichtung von Konzentrationslagern rechtfertigte (Ossietzky befand sich im KZ Esterwegen) und 1943 Hitler und Göbbels in Deutschland besuchte, hat Sigrid Undset das besetzte Norwegen als Unterstützerin des norwegischen Widerstands verlassen müssen. Hamsun wurde im besetzten Norwegen als Dichter Nummer eins hoch gelobt, er war neben Karl May einer der Lieblingsschriftsteller von Hitler, der „Segen der Erde“ als Blut-und-Boden-Literatur goutierte. Allerdings sollte sich das nach dem Krieg drastisch ändern. In seinem Eigensinn schrieb Hamsun noch einen Nachruf auf Hitler und dann ging`s bergab mit ihm. Er wurde nach dem Krieg als Landesverräter verhaftet, zu einer ruinösen Geldstrafe verurteilt und eine Zeitlang in die Psychiatrie eingewiesen, worauf er 1949 in „Auf überwachsenen Pfaden“ eingeht und reuelos seine Haltung rechtfertigte. Erst zu Hamsuns 150. Geburtstag 2009 schlossen die Norweger offiziell mit ihm Frieden, indem die Königin die feine Unterscheidung zwischen Hamsun als Autor und als Person machte. Und wir beide Feen müssen zugeben, dass wir in Hamsuns Romanen keine faschistischen Stellen gefunden haben – wirklich nicht! Als Sigrid Undset gleich nach dem Krieg nach Norwegen zurückkehrte, wurde sie hoch gelobt und ausgezeichnet, Hamsuns Werke dagegen wurden von einigen Norwegern vernichtet, wie es Lars Saabye Christensen in seinem Roman „Der Halbbruder“ beschreibt: „Der Autor war während des Krieges ein Lümmel. Deshalb haben wir seine Gesammelte Werke hier im Kaminofen verbrannt.“

„Jetzt hast du dich über Hamsuns politische Einstellung mokiert, aber wo bleibt der Dichter Hamsun?“, kritisiert mich Selma. „Naja, der Hamsun ist einer, der mehr gelobt als gelesen wird“, rechtfertige ich mich, die mit Hamsun ihre Schwierigkeiten hat. Ehrlich gesagt, finde ich Hamsun langweilig. Klar, das weiß ich doch als BuchFee, hat Thomas Mann Hamsun hoch gelobt. Er bezeichnete ihn als den würdigsten Nobelpreisträger und sicher hat dieser norwegische Querkopf moderne Techniken des Romans wie den inneren Monolog und die erlebte Rede vorbereitet, auf ihn konnten Joyce und Proust aufbauen und selbst zeitgenössische norwegische Autoren wie Saabye Christensen und (Masters verehrter) Jan Kjærstad beziehen sich Hamsun, wie auch Ernest Hemingway, Hermann Hesse, H.G. Wells, Henry Miller, Bert Brecht und Robert Musil. Dennoch fand ich Hamsun einschläfernd. Er wird ja wegen seiner Landschaftsbeschreibungen und Naturmystik gelobt, ich fand jedoch außer in „Pan“ und „Die Schwärmer“ nicht viel davon. Nach all der Hamsun-Leserei griff ich abends im gemütlichen Kuschelbettchen zu Georg Engels Roman „Zauberin Circe“. Im Gegensatz zu Hamsun ist sein Zeitgenosse, der Bestsellerautor Engel, heute völlig vergessen, aber wer Naturschwärmereien liebt, der sollte lieber zu Engel als zu Hamsun greifen.

Unser Master sprach ganz verwirrt von „Hamundsen“ als wir gemeinsam die alte Hamsun-Ausgabe auf der Suche nach Naturmystik durchblätterten, als ob Amundsen und Hamsun etwas gemeinsam hätten – oder doch? Wie dem auch sei, naturmystische Schilderungen fanden wir in „Pan“ und „Die Schwärmer“ (dort nur in winzigen Abschnitten), ein Loblied auf die Erde und das bäuerliche Leben in „Segen der Erde“, das Masterchen, Dina und ich als seinen lesenswertesten Roman fanden. Dies war der einzige Roman Hamsuns, bei dem ich wissen wollte, wie er ausgeht. Große Schwierigkeiten hatte ich, „Mysterien“ zu lesen, einen Roman bei dem ich bis heute nicht verstanden habe, warum Hamsun – für mich völlig unmotiviert – ständig zwischen Präteritum und Präsenz wechselt. Oder sollte das an den schlechten Übersetzungen liegen, angesichts derer unsere liebe zweisprachige Dina sich die Haare raufte.
Sicherlich waren Hamsuns psychologische Überlegungen damals acht Jahre vor Freuds Erscheinen der „Traumdeutung“ neu, heute wirken sie jedoch wie abgestanden Altbekanntes. Das Skurrile und Fantastische der Geschichte hätte selbst ich besser verdichten können. Diese überzogene Liebesgeschichte war ja fast so exaltiert wie Goethes Bestseller „Die Leiden des jungen Werther“, der heute nicht ohne Lachkrämpfe zu lesen ist. Dennoch schuf Hamsun mit Nagel, dem wundersamen Exzentriker und Hysteriker in „Mysterien“ einen postmodernen Helden, wie auch in jenem erfolglosen, ja lächerlichen Schreiberling in „Hunger“. Der Versager als Held, das hört sich nach einem Nihilismus á la Nietzsche an, meint Masterchen – oder sollte sich dahinter Hamsuns panische Angst vor dem Alter verbergen?
In „Viktoria“ werden Liebe und Sexualität als Naturmächte, denen der Mensch ausgeliefert ist, überhöht. Und immer schreibt Hamsun gegen die böse Großstadt und den Fortschritt an, auch ein Thema in „Hunger“, der Roman, der seinen Weltruhm begründete, unter anderem deswegen, da er auf den damals üblichen vermittelnden Erzähler verzichtete und eindringlich aus der Ich-Perspektive erzählt. Man kann dieses Buch nicht weglegen oder schmeißt es nach den ersten drei Seiten ins Feuer, schrieb treffend ein Rezensent.
Mich hat es ja fast von meinem Regal geworfen, als ich „August Weltumsegler“ las, die Geschichte eines Spekulanten, die sich fast wie eine Vorausschau der heutigen Finanzkrise liest. Dort unterstrich ich dick: „Der Mensch will höher fliegen, als ihm die Flügel dazu gewachsen sind. Da fällt er herunter.“

„Wenn wir dann eine Zeitlang gewandert sind, dann wandern wir noch eine Weile; wir wandern einen Tag, darauf eine Nacht, und endlich in der Dämmerung des nächsten Tages ist die Stunde gekommen, und wir werden getötet, in Ernst und Güte getötet. Das ist der Roman des Lebens mit dem Tod als letztem Kapitel. Das ist alles so mystisch.“ (Knut Hamsun, Das letzte Kapitel) Hamsun starb vor 60 Jahren auf seinem Gut Nørholm bei Grimstad.

Meine Schwester Selma pocht darauf zu erwähnen, dass es noch heute glühende Hamsun-Fans gibt. Wer sich für „Hamsunika“ interessiert, der schaue sich mal diese österreichische Seite an.

Grüße vom Master und meiner Schwester Selma
Eure Siri BuchFee