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Der Anstalt entronnen

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Ihr Lieben,

ganz herzlichen Dank für eure guten Wünsche 🙂 Das hat mich wirklich gerührt, richtig lieb von euch.

Der Bruch ist operiert, wobei ich vom Herrn Prof. lernte, dass die Leiste eine Sollbruchstelle im männlichen Körper ist, um Schlimmeres zu verhindern. Ich habe etwas länger das Krankenhausleben genießen dürfen, da auch der Schnitt etwas länger sein musste. Das Verb „genießen“ ist im vorigen Satz keineswegs ironisch zu verstehen, ich geb`s zu, ich habe die knappe Woche genossen.
Nachdem ich den Zerberus der Verwaltung überwunden hatte, was wohl nur dem Gesundesten gelingt, bekam ich ein Einzelzimmer. Ich habe es mir als mönchische Zelle organisiert. Stuhl, Tisch, Bett – allerdings HiTec – sonst karger Stil, an dem es nichts auszusetzen gab. So lang so gut hatte der Herr Professor geschnitten, ich hatte nur zu Beginn Schmerzen, schnell war alles völlig erträglich. An die Linguistik des Krankenhauses musste ich mich allerdings erst einmal gewöhnen.
„Wollen Sie ein Schmerzmittel?“
„Nein, danke.“
Also bekam ich ein scheußlich süßes, leicht euphorisierendes Etwas im Pinnchen dargeboten, aus denen wir in Köln Schnaps trinken.
Man lernt ja – so hofft man. Beim Schlafmittel deuchte ich mich bereits klüger
„Möchten Sie ein Schlafmittel?“
„Ja, bitte.“
Nicht wie Ihr denkt – nun bekam ich zwei.

Foto: Christine Ackermann

Foto: Christine Ackermann

Wenn man in karger Krankenzelle im Bett sitzt oder liegt, kann man sich den Luxus des längeren Nachdenkens leisten. Da ich zuvor viele Aufsätze von Eco gelesen hatten, fiel mir an jenem lasziven dritten Krankenhausnachmittag ein, die Sprache meiner Umgebung zu betrachten. Ein wesentliches Accessoire ist der Tropf. Es macht schon etwas her, am Tropf zu hängen, nun wird man nicht nur im Krankenhaus sondern auch vor sich selbst als krank ernst genommen. Am Tropf hängend hatte ich gleich noch einen Erstsatztropfständer im Zimmer stehen, den ich beim Einzug für einen unpraktischen Kleiderständer hielt. Ja, am Tropf hing ich lang, bis die nette Schwester meinte „och, Sie können auch Tabletten nehmen.“ Ich hatte mich zuvor über den Anschluss beklagt, den, wie bei den Matrix-Filmen, jeder Echtkranke verpasst bekommt.
So lief ich stilgerecht herum: rechts der Tropf und links der Drip, ich meine die Dränage. Das ist man der Hoch-Adel unter den Kranken: „ernsthaft krank“.
Einmal täglich erscheint der Gott der Götter, um zu fragen, wie es einem geht. Nach beherztem Händedruck und väterlichem Blick hat er sogar Zeit für einige Worte. Dem Triumvirat aus Chefarzt, Oberarzt und Stationsarzt umweht der Flair eines englischen Crickett-Clubs, man ironierte sich kameradschaftlich aufbauend im Sinne des Sportgeistes. Die Plauderzeit gegen 11h  hat mir gefallen, gute Therapie!
Ich habe mich auf die Literatur konzentriert, mir mit dem Lesen Zeit genommen. Ohne Anwendungen wurde ich für Stunden nicht unterbrochen. So habe ich lange Passagen von Conrads „Lord Jim“ gelesen. Der größte Teil des Romans, der in Malaysia spielt, erinnerte mich irgendwie an „Wassermusik“, wenn auch Conrads Geschichte in Asien und T.C. Boyles Geschichte in Afrika spielt. Sicherlich realistisch und zugleich mit romantischer Exotik wird das Leben mit all seinen Gefahren und Intrigen auf einer abgelegenen Handelsstation geschildert. Gut gemacht ist das Verweben der Liebesgeschichte am Schluss mit der Anderswelt der Handelsstation für Jim, den edlen Romantiker – das große Thema: das Andere und die Angst. Ich habe das alles nur gelesen, da ich Siri Hustvedts „Der Sommer ohne Männer“ zu schnell durchgelesen hatte. Den Roman fand ich enttäuschend, da er mir zu Beginn zu fragmentiert ist und die Story nicht so recht in den Gang kommen will. Die zweite Hälfte des Romans fand ich weitaus besser. Das „name dropping“ wirkt affig, wenn`s auch seine Wirkung auf mich zeigte, indem ich staunte, wie Hustvedt zumindest dem Namen nach sich in deutscher Philosophie auskennt; aber zumindest ein Adjektiv zu dem jeweiligen Philosophen hätte ich mir gewünscht.
Außerdem hatte ich von Dina ein völlig falsches Buch für einen am Bruch Operierten dabei: Alan Bennett „Alle Jahre wieder“.
Ich muss Euch vielleicht aufklären, dass Lachen neben Niesen und Husten am meistens schmerzt nach einer Bruchoperation nach Lichtenstein – ja, ich kenn mich jetzt aus 😉
Ich kann nur sagen, Bennett ist vom Feinsten, zart ironisch, perfekt treffend, klug beobachtend und witzige Story. Wer es nicht kennt: Sehr empfehlenswert, allerdings mit großem Fehler: Ich las es rundum vergnügt in zwei Stunden.
Irische Märchen, die mir die Gartenfee mitbrachte, habe ich noch gehört, auch witzig –  und heute morgen wurde ich aus der Anstalt entlassen.
Also: Eure guten Wünsche haben genutzt. Ich fühl mich gut, nur noch etwas faul oder ich könnte es entschuldigend auch „müde“ nennen

Ganz herzlichen Dank Euch allen und liebe Grüße aus dem Gartenhaus
Klausbernd 🙂

der Morgen nach Buckow fahren wird, wo Brecht seine letzten Gedichte, den Gedichtzyklus  „Buckower Elegien“, schrieb.

Zum Welttag des Buches

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Zum Welttag des Buches

Umzingelt von Büchern wuchs ich auf, in meinen vor-alphabetischen Zeiten freilich als Schrecken für jedes Buch, dessen Seiten ich milder gestimmt bekritzelte, kühner aufgelegt herausriss. Obwohl ich halb erwachsen jahrelang die Psychoanalyse genoss und als Nach-Bildung zu verstehen lernte, waren es doch die Bücher, die mich veränderten und zu dem machten, der ich heute bin. Zwanghafter Buchfreak könnte man mich nennen, einer, der nervöse Zuckungen bekommt, Schweißausbrüche, wenn kein Buch in Griffnähe bereitliegt. Immerhin habe ich meine preußische Erziehung überwunden, nach der man ein angefangenes Buch bis zu seinem erlösenden Ende lesen muss, ein Syndrom, unter dem auch unsere Königin litt, wie Alan Bennett in „Die souveräne Leserin“ berichtet. Dieses Martyrium tu ich mir nicht mehr an. Ich lege Bücher weg, die nach Seite zwanzig immer noch zum Einschlafen verführen wie dieser englische Klassiker „Middlemarch“ von George Eliot oder die dicken Wälzer von Cowper-Powys. Aber wohin, mit den verworfenen Werken? Verschenken wäre boshaft, also spenden nach der Devise, dass kein Buch nicht einen begeisterten Leser findet. Obwohl Heide spende ich der Kirche, denn in den Kirchen der Küstendörfer Nord-Norfolks tauscht die wacker lesende Bevölkerung ihre für nicht regalwürdig befundenen Bücher aus.

Der Autor vor dem Antiquariat in Cley next the Sea, erschöpft vom Stöbern

An einer Buchhandlung vorbei zu gehen, ist eine Unmöglichkeit für mich und bei Einladungen schweift mein hemmungslos indiskreter Blick zum Bücherschrank der Gastgeber. Oh Schreck, ich lebe mehr in der Buchwelt als in jener Anderswelt, die mancher als real bezeichnet.

Analfixiert sammle ich Bücher, aber es gibt wohl mildernde Umstände, nämlich ich sammle nicht, um zu haben, sondern um zu lesen – für mich das Sein, von dem Erich Fromm spricht. Mein Schätze sind die wurmstichige englische Erstausgabe von Nansens „Farthest North“, Richard Wilhelms „I Ging“ in der Jugendstil-Erstauflage, eine hochedle, große wie schwere Ausgabe des „Kamasutra“ und Malinowskis Buch mit dem irreführenden Titel „Das Geschlechtsleben der Wilden“ (für ein Pfund auf einem englischen Flohmarkt entdeckt – in Deutsch!), von dem Freud und Jung einiges übernahmen. Dazu kommen noch einige Erstauflagen in erbarmungswürdigem Zustand der Diederichs Reihe „Märchen der Weltliteratur“. Zum Analfixierten, wie jeder seit Freuds Schriften weiß, gehört auch die Ordnung. Aber hallo, Bücher und Ordnung gehören zusammen wie Druckerschwärze und Papier. Wie oft habe ich schon meine Bibliothek geordnet. Und gerade kann ich mich gar nicht recht aufs Schreiben konzentrieren, da Dina und die Buchfee Selma Bücher nach den Farben – oh dear! – von überall aus den Regalen ziehen, um Fotos zu machen. Schande über sie, sie stellten nicht einmal einen Stellvertreter ein.

Obwohl ich am Inhalt der Bücher interessiert bin und obwohl mich die Bücher aus meinem Haus kafkaesk verdrängen, kann ich mich nicht an E-Books erfreuen, die eigentlich viel praktischer sind. Aber unter uns gesagt, das sind doch keine books – kein Rascheln des Papiers beim Umblättern der Seiten, nicht dieser Buchstaubgeruch. Wir stecken unsere Nase ins Buch, da nehmen wir einen Mix aus Papier, Tinte und Leim wahr, manchmal duften Bücher nach Herbst oder Schimmel, wenigen Büchern haftet ein Sommerduft an. Und das Allerneuste: Ein Berliner Parfümeur hat gerade das Parfüm „Paper Passion“ zum Betören jeder Leseratte kreiert, Karl Lagerfeld – auch ein Buchfreak – entwarf die Verpackung und Günter Grass steuert ein Gedicht bei.
E-Books weisen auch keine Gebrauchsspuren auf wie der fettige Fingerabdruck in Ecos „Der Friedhof in Prag“, der mich an Fahrt mit dem ICE nach Zürich erinnert, als ich selbst beim Essen dieses Buch nicht zur Seite legen konnte.

Ich wage es kaum zu bekennen, die griechisch-römischen Klassiker Aristophanes, Sallust, Lukrez und selbst Cicero und Cäsar (nicht Plato und erst recht nicht Ovids „Metamorphosen“) dienen mir als Buchstützen und teilweise gar als Unterbau für meine Regale, wohin ich auch Aristoteles verbannte. Die helle Leselampe steht auf einer dieser kastrierten Ausgaben von Melvilles „Moby Dick“ (die wenigsten Ausgaben sind vollständig) und auf Bram Stockers „Graf Dracula“ fürs Volk. Meine Wände sind längst alle voll verbucht, denn Bücher isolieren vorzüglich (besser als jeder Isolierschaum). – Kurzum, Sie sehen, ohne Bücher kann man gar nicht leben und elend nur überleben.

Noch gar nicht erwähnte ich all jene geduldigen Büchlein, in die ich schreibe: Mein Journal über die gelesenen Bücher, die ich lästerlich oder gnädig charakterisiere, mein Arbeitsjournal, das ich wie Bert Brecht als Ideenbuch führe und das allseits beliebte Tagebuch, Moleskin natürlich in der Tradition Hemingways. Und vielleicht führen Sie ja noch einige Bücher mehr. – Oh, Hilfe! Die Diktatur der Buchführung unseres Lebens ist ausgebrochen.

Well, da sitze ich in meinem Schaukelstuhl, draußen stolziert der Fasan mit seinen vier Weibchen vorbei, als ob ihm mein Garten gehöre und Siri und Selma, meine Buchfeen, beschimpfen mich als Stubenhocker. Sie flattern anmutig mit einem Transparent „Ehre dem Buch“, auf blauer Seide gelb gestickt, in unserem kleinen Dorf die Küstenstraße auf und ab. Ray, der weißgelockte Dorf-Antiquar, reicht ihnen eine Tasse heißen Tees heraus, in kleinen Schlucken trinkend regt sich Siri über den Titel des neusten Buchs von F.C. Delius auf „Als Bücher noch geholfen haben“ (seine Memoiren). „Tempusfehler!“ ruft sie erbost flügelflatternd. Ich überlege derweil, ob ich über das hochbrisante Thema des Bücherverleihens noch schreiben sollte oder genügt ein radikales „Niemals!“, da verliehene Bücher die Tendenz zeigen, beleidigt nicht mehr zurückzukommen.

Wer wissen möchte, welche Bücher seine Bibliothek zieren und Abende verschönern würden, der kann auf Dinas Blog Anregungen bekommen.

Einen frohen Buchtag wünscht
Klausbernd

Buchtalk, Die souveräne Leserin von Alan Bennett

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Buchtalk, Die souveräne Leserin von Alan Bennett

Als mich Dina vorige Woche nach meinen fünf Lieblingsbüchern fragte, also nach jenen Büchern, die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde, habe ich erschrocken (nur fünf Bücher – das ist ja Folter!) wie spontan drei amerikanische Autoren (Paul Auster, John Irving, Tad Williams), einen englischen Autor (Douglas Adams, den ich versehentlich lange Zeit auch für einen Amerikaner hielt, da ich solche verrückte Sci-Fi-Geschichte wie „Per Anhalter durch die Galaxis“ nur einem Amerikaner zutraute) und einen Österreicher (Ransmayr, den Meister des Stils) genannt. Das spiegelt ganz und gar nicht meine Lesegewohnheiten wider. Seit über dreißig Jahren in England lebend, lese ich meist englische Autoren. Die bekomme ich durch unsere ehrwürdige Kirche an der Dorfwiese, in der, obwohl zur Touristenattraktion verkommen, ein reger Buchaustausch herrscht – und das völlig unzeniert. Ja, selbst anregender Softporn (kennen Sie z.B. Carl Timlichs „Priaps Schule der Lüste“ – zum Schreien! – fand ich in deutsch dort) liegt neben Richard Dawkins Buch über den Gotteswahn. Mein neuster Fund stammt von dem englischen Star-Autor, dem Metzgers Sohn Alan Bennett, der sich u.a. mit Kafka und Proust auseinandersetzte. „Die souveräne Leserin“ ist eine Art Kurzroman (quasi das Gegenteil zu Proust ewiglanger Suche nach der verlorenen Zeit), der treffend in die englische upper-class einführt. Über Bücher erfährt man zwar weniger, obwohl ich in Sandringham (the Queen`s Cottage, dem Privatschloss der Königin) gefüllte Buchregale sah (mit vielen längst vergessenen Schmökern).
Ich habe beim Lesen von „Die souveräne Leserin“ so lachen müssen, dass ich immer wieder innehalten musste, derart genau beobachtet beschreibt Bennett wie es in gewissen Kreisen hier so zugeht. Würden einem nicht immer die Augen tränen vor Lachen, könnte man das Buch in zwei bis drei höchst vergnüglichen Stunden lesen. Und zum Schluss verrate ich nur noch eins: Es geht darum, wie die Queen zum Lesen kommt, denn immerhin gilt Lesen als Müßiggang, den sich eine vorbildliche Königin des pragmatischen Englands nicht leisten darf – oder doch?

Grüße aus dem „Literary Norfolk“
Klausbernd Vollmar